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Digital Culture Summit 2023 in Köln, nicht verpassen (IV.)

Am 25. und 26. September 2023 findet in Köln im KOMED, Zentrum für Veranstaltungen im MediaPark Köln, anlässlich des 10jährigen Jubiläums der Pausanio Akademie, ein erstes Digital Culture Summit statt. Eine Teilnahme vor Ort wie auch eine digitale Teilnahme sind noch gegen die Entrichtung einer Gebühr, die auf finanzschwache Teilnehmer*innen Rücksicht nimmt (199,- €/159,- € bzw. 149,- €/119,- €), möglich. Ein Blick auf das Programm der Tagung verspricht interessante Impulse für all jene Akteur*innen, die im digitalen Zeitalter in der Kultur tätig sind oder es sein wollen.

Nach Grußwörtern (Ina Brandes, Andree Haack und Prof.Dr. Holger Simon) und Einführung in das Thema (Dr. Felicia Sternfeld und Dr. Annette Doms) werden am ersten Tag der Stellenwert der digitalen Kompetenz in Kultur (Dr. Christian Gries und Dirk von Gehlen), die neuen, durch digitale Transformation generierten Arbeitsweisen (Paul Spies, Miriam Mayer-Ebert und Beate Lex) sowie das Verhältnis von Mensch und Maschine (Reinhard Karger, Dr. Tabea Golgath und Prof.Dr. York Sure-Vetter) umrissen werden. Der zweite Tag ist dann dem Publikum im digitalen Zeitalter (Prof.Dr. Patricia Rahemipour, Marcus Lobbes, Melanie Lauer und Constantin Pelka), der zu verändernden Kulturinstitutionen (Dr. Doreen Mölders, Dennis Wittrock und Michael Wuerges) und den neuen Leitprinzipien in kulturellen Organisationen (Diandra Donecker und Julia Becker) gewidmet. Parallel zum Bühnenprogramm gibt es Masterclasses zur neuen, Inter-Pares-Zusammenarbeit in Institutionen als eine Arbeit auf Augenhöhe (Dennis Wittrock), zum Einsatz von künstlicher Intelligenz im Kulturmarketing (Holger Kurtz), zum Fundraising in der Kultur (Sophia Athié) und zu dem aktuellen Urheberrecht (Prof.Dr.Dr. Grischka Petri).

Ziel der Veranstaltung ist es jene Kräfte in Kultur zu bündeln, die eine digitale Offensive für notwendig halten, die ausstehenden Erneuerungen anzustoßen und die Digitalität im Zentrum kulturellen Lebens zu stellen. Eine Teilnahme vor Ort ist nicht notwendig, aber empfehlenswert, um das Netzwerk zu stärken und nicht zuletzt, um am 25.09. nach 18:00 Uhr an der Party mit kölschem Büffet teilzunehmen. Wenn für Kulturakteur*innen Köln zu weit liegt, ist wenigstens eine digitale Teilnahme wichtig, um sich mit den aktuellen Fragen der Branche vertraut zu machen und auf das Material der Tagung wann immer zurückgreifen zu können.

Eine visuelle Überraschung auf der Tagung wird das Projekt der Künstlerin Meral Alma sein, das später für einen guten Zweck im Bereich der digitalen Bildung gespendet wird.

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Flowers Forever in der Kunsthalle München (2. Teil)

Zwischen dem Bereich realer Pflanzen und jenem der Blumen in der Kunst befindet sich ein Raum, in dem Phantasieblumen an den Wänden projiziert werden. In der Installation von Miguel Chevalier (*1959) erschafft künstliche Intelligenz Blumen, lässt sie gedeihen und wieder welken. Keine der Pflanzen escheint zwei Mal und die Besucher in dem Raum beeinflussen die Projektion.

In einem der beiden großen Säle der Kunsthalle gibt es historische Blumenstillleben, zeitgenössische Werke, die mit den älteren Bildern in Dialog treten und Arrangements künstlicher Blumen. Ein Millefleurs-Wandteppich des 16. Jahrhunderts aus Belgien, ein blau-weißes Kachelbild mit Blumenvase ungefähr der gleichen Zeit aus Damaskus harmonieren mit einem Tulpenkabinett aus der Mitte des 17. Jahrhunderts von Herman Doomer (1595-1650) aus Amsterdam.

Herman Doomer (ca. 1595-1650), Tulpenkabinett, ca. 1635-1650, Zedernholz, Ebenholz, Elfenbein, Permutt, Museum Boljmans Van Beuningen, Rotterdam
Herman Doomer (ca. 1595-1650), Tulpenkabinett, ca. 1635-1650, Zedernholz, Ebenholz, Elfenbein, Permutt, Museum Boljmans Van Beuningen, Rotterdam

Anna Ridler (*1985) greift das Motiv der Tulpe auf, um in einer Videoinstallation (Mosaikvirus) das Phänomen des Bitcoin zu thematisieren. 1637 führte der spekulative Tulpenhandel in den Niederlanden zum ersten Crash der Wirtschaftsgeschichte. Weder Tulpen noch Bitcoins haben einen reelen materiellen Wert. In der Arbeit schließen und öffnen sich Tulpen entsprechend den Schwankungen des Bitcoin während des Martktes 2017/18. Der Titel bezieht sich auf ein Virus, das die Musterung der Tulpen verursacht.

Anna Ridler (*1985), Mosaikvirus, 2019, 3-Kanal-GAN-Videoinstallation, Farbe, ohne Ton, 30 Min., Seamless Loop, Courtesy Anna Ridler und Galerie Nagel Drexler Berlin / Köln / München
Anna Ridler (*1985), Mosaikvirus, 2019, 3-Kanal-GAN-Videoinstallation, Farbe, ohne Ton, 30 Min., Seamless Loop, Courtesy Anna Ridler und Galerie Nagel Drexler Berlin / Köln / München

An das überladene Zeitalter des Barock wird vor allem durch ein Lackkabinett (ca. 1690-1700) aus England oder den Niederlanden erinnert. Unter Einfluss orientalischer Möbelstücke wurden solche Schränke auch in Europa angefertigt, um an Fürstenhöfen die teuren Sammlungen an Kuriositäten aufzubewahren. Die Blumendarstellung in diesem Beispiel weist auf die zeitgleichen Stillleben mit Vanitas-Anklängen hin.

Unbekannt (England oder Niederlande), Lackkabinett, ca. 1690-1700, Holz, lackiert und bemalt, Gestell: Lindenholz vergoldet, Salomon Stadel, Amsterdam
Unbekannt (England oder Niederlande), Lackkabinett, ca. 1690-1700, Holz, lackiert und bemalt, Gestell: Lindenholz vergoldet, Salomon Stadel, Amsterdam

Eine Glasvitrine an einer Seite vor der Wandtapete „Der Garten der Armida“ am Ende des Saales, die auf der Pariser Weltausstellung von 1855 präsentiert wurde, vereint mehrere, kostbare Art-Nouveau-Objekte und ihre Ausläufer im 20. Jahrhundert. Émile Gallé (1846-1904) und René Lalique (1860-1945) fehlen natürlich nicht bei dieser Auswahl, genausowenig wie der Goldschmied Lucien Gaillard (1861-1942) und die Manufaktur Frédéric Goldscheider (gegr. 1855). Unvergessen bleibt die Parfümflasche für Christian Dior (1956) von Hand geschnitten von Baccarat mit einem Aufsatz in Form eines goldenen Blumenornaments.

Baccarat, Parfümflasche für Christian Dior, 1956
Baccarat, Parfümflasche für Christian Dior, 1956

Ein Bühnenbild-Model aus der Uraufführung der Oper „Parsifal“ von Richard Wagner von 1882 in Bayreuth gewinnt in einem angrenzenden kleinen Raum durch die romantische Schönheit die Aufmerksamkeit von Besuchern. Das in Köln aufbewahrte Modell zeigt „Klingsors Zaubergarten“, in dem viele Gralsritter vor Parsifal von Blumenmädchen verführt wurden. Wagners Held widersteht jedoch und gelangt am Ende des Aktes in den Besitz des gesuchten, heiligen Speers.

Paul von Joukowsky (1845-1912), Entwurf / Max Brückner (1836-1919), Ausführung. Bühnenbild-Modell für "Klingsors Zaubergarten" der Uraufführung von Richard Wagners "Parsifal" in Bayreuth, 1882. Theaterwissenschaftliche Sammlung, Universität zu Köln.
Paul von Joukowsky (1845-1912), Entwurf / Max Brückner (1836-1919), Ausführung. Bühnenbild-Modell für „Klingsors Zaubergarten“ der Uraufführung von Richard Wagners „Parsifal“ in Bayreuth, 1882. Theaterwissenschaftliche Sammlung, Universität zu Köln.

Nicht unerwähnt darf in dem zweiten großen Ausstellungssaal, neben mehreren zeitgenössischen Arbeiten mit originellen und vor allem sozial-kritischen Anwendungen des Blumen-Motivs, die Bühne der Flower-Power-Bewegung des 20. Jahrhunderts. Zwischen einigen Kleidungsstücken, die damals Kult waren, überraschen durch ihre Frische ein Siebdruck von Andy Warhol (1928-1987) und eine periodisch leuchtende Metalskulptur von Otto Piene (1928-2014).

Der Parcours neigt sich dem Ende zu mit einer Arbeit der Künstlerin Kapwani Kiwanga (*1978), die auf das eingangs erwähnte Buch der Naturforscherin Maria Sibylla Merian (1647-1717) „Metamorphosis insectorum Surinamensium“ (1705) Bezug nimmt. „Die Marias“ sind abgewandelte Formen des Pfauenstrauchs, einer Blume, die in Indonesien als natürliches Abtreibungs- und Verhütungsmittel von versklavten Frauen genutzt wurde. Kiwanga inszeniert die Blume als Symbol des Widerstands von Frauen, die in der Kolonialzeit auch sexueller Gewalt ausgesetzt waren.

Kapwani Kiwanga (*1978), Die Marias, 2020, Papier, Holz, Farbe. Courtesy the artist and Goodman Gallery, Capetown, Johannesburg, London; Galerie Poggi, Paris; Galerie Tanja Wagner, Berlin.
Kapwani Kiwanga (*1978), Die Marias, 2020, Papier, Holz, Farbe. Courtesy the artist and Goodman Gallery, Capetown, Johannesburg, London; Galerie Poggi, Paris; Galerie Tanja Wagner, Berlin.

Abschluss der Ausstellung ist eine Installation der britischen Künstlerin Rebecca Louise Law unter dem Namen „Calyx“ (Blütenklech). Dafür haben Freiwillige mehr als 100 000 Blumen, die sonst weggeworfen worden wären, getrocknet und gebunden. Die hängenden Blumen bilden ein kleines Labyrinth mit mehreren Öffnungen, das man passieren kann. Es erinnert ein wenig an die Gartenkulissen des Barock, an Bühnenbilder mit regnenden Blumen ist aber zugleich ein zeitgenössisches, begehbares Kunstwerk getreu dem Prinzip der Nachhaltigkeit.

Rebecca Louise Law (*1980), Calyx (Blütenkelch), 2023.
Rebecca Louise Law (*1980), Calyx (Blütenkelch), 2023.

Die Ausstellung „Flowers Forever“ in der Kunsthalle München ist in jeder Hinsicht eine sehenswerte Schau und eine gute Überraschung. Unter Einfluss der gegenwärtigen, virtuellen Sinnesrausch-Räumen zu verschiedenen Themen der Kunst, die überall in Europa und Amerika entstehen, habe ich eher eine Ausstellung mit prächtigen analogen und digitalen Blumenarrangements und weniger Wissen erwartet. Das hat sich erfreulicher Weise nicht bestätigt. Bis Ende August 2023 kann man noch in der Münchner Kunsthalle eine gut dokumentierte und schön präsentierte Ausstellung besuchen und viele Informationen und viele inspirierende Eindrücke mitnehmen.

 

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Jean Siméon Chardin…

… ist einer der sinnlichsten Maler, die ich kenne. Trotzdem zögern die Veranstalter neuer Lichtspiele mit Kunst, mit seinen Werken Räume zu gestalten. Zumindest habe ich bisher nicht gehört oder gesehen, dass einer der zeitgenössischen Ausstellungsmacher (wie das Atelier des Lumières in Paris) seine Gemälde auf große Flächen projiziert hätte. Dabei wurden die Impressionisten, die sich von Chardin bekanntlich maßgebend inspiriert haben lassen, schon mehrfach in diesen neuen Galerien thematisiert. Warum also nicht auch einer ihrer Vorgänger?

In seinen stillen Genrebilder – wie das bekannte „La Bénédicité“ (1725/50), auf der Seite des Louvre unter: https://collections.louvre.fr/ark:/53355/cl010059556 zu sehen oder „La Pourvoyeuse“ (1739) unter: https://collections.louvre.fr/en/ark:/53355/cl010059178  – würde man sich trotz der Bescheidenheit des Raums gut aufgehoben fühlen. Die Frauengestalten sind leicht melancholische Wesen, deren Wärme sich in ihrer – meist kargen – Umgebung, der Küche oder der dependances ausbreitet. Kinder und Jugendliche in seinen Gemälden sind kleine, elegante, brave und musisch begabte Abbilder der verhaltenen Erwachsenenwelt. Die Ruhe dieser häuslichen Welt scheint Chardin mehr fasziniert zu haben, als alles andere.

Abseits lauter Marktbilder entstanden auch seine Stillleben mit einfachen „Zutaten“ wie Pflaumen, Pfirsiche, Kupferkessel, Silberbecher und Weinflaschen auf breiten Steinplatten. Eine schöne Sammlung davon besitzt der Louvre und man wird nicht satt, diese kleinen Bilder der kulinarischen Vollkommenheit zu betrachten:

„Panier de pêches, avec noix, couteau et verre de vin“ (1768) – https://collections.louvre.fr/en/ark:/53355/cl010059177

„Ustensiles de cuisine, chaudron, poêlon et oeufs“ (1733) – https://collections.louvre.fr/en/ark:/53355/cl010059558

Berühmt sind auch die zu kleinen oder größeren Mahlzeiten gedeckten Tische mit feinem Porzellan, seltenen Früchten und guten Speisen im diskret feierlichen Ambiente, wie: „Le Bocal d’olives“ (1760) – https://collections.louvre.fr/en/ark:/53355/cl010059554 oder „La Brioche“ (1763) – https://collections.louvre.fr/en/ark:/53355/cl010059552

Große Aufnahmen dieser und anderer seiner Gemälde würden wahrscheinlich die ruhige Atmosphäre der lichten Interieurs verstärken, vielleicht auch eine genaue Betrachtung des Farbauftrags und der Pinselführung ermöglichen und ein besseres Verständnis seiner Kunst herbeiführen. Das Ineinandergreifen der Malweise, des Weltbildes des Künstlers und der Einladung an den Betrachter, Teil dieser kleinen verzauberten Welt zu werden, wäre möglicherweise nachvollziehbar. Die Erfahrung der Intimität eines künstlerischen Universums wäre auch für den Besucher eine solchen Lichtausstellung ein willkommenes Erlebnis in einer rastlosen Zeit.

Umso schöner den geheimnisvollen Werdegang eines Malers zu verfolgen, dessen Karriere mit einem Rückgriff auf die flämische Barockmalerei und einem verhältnismässig „lauten“ Bild begann:

„La Raie“ (1728) – https://collections.louvre.fr/en/ark:/53355/cl010065938

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… zurück zu Byzanz / unterwegs (Serie)

In den 1990er Jahren kehrte ich noch einmal thematisch zu Byzanz zurück, aber – aus heutiger Sicht betrachtet – nur um gründlicher Abschied zu nehmen. Die Abteilung Byzantinistik des Instituts für Altertumskunde der Universität zu Köln organisierte unter der Leitung von Professor Dr.Dr. h.c. Peter Schreiner (* 1940) im Frühsommer 1998 eine Reise nach Istabul, um einige der byzantinischen Denkmale zu besichtigen. Es gab Referate zu den Sehenswürdigkeiten und wir konnten viele Kenntnisse der Geschichte vor Ort besprechen.

Im Freundeskreis teilte ich mit, ich würde nach Konstantinopel fahren und war so aufgeregt, wie selten bei einer Reise in Ländern Europas. Die Erinnerungen sind sehr verblasst, aber einiges – wie die Bosphorus-Fahrt – ist so lebendig geblieben, als hätte die Exkursion gestern stattgefunden. Wir sahen und lernten viel über die Hagia Sophia, Hagia Eirene, über die Fussbodenmosaiken des alten Palastes, über den Hippodrom, über die Lateinerquartiere und Galata. Kalenderhane Camii, Süleyman Camii, Koca Mustafa Pasa Camii, Chora-Kirche, Pammakaristos, Polyeuktos, Lips-Kloster bekamen mit jedem neuen Tag mehr Substanz und wir freuten uns, über erhaltene und nicht mehr erhaltene Reste Neues zu erfahren.

Unter anderem wählte ich über die Kariye Camii (ehem. Chora-Kloster) zu referieren und blieb lange Zeit in Gedanken an dem teilweise erhaltenen, ikonographischen Programm. Interessant war nicht nur die Tatsache, dass es sich hierbei um das ausgedehnteste, in den ehemaligen Grenzen des byzantinischen Reichs erhalten Bilderzyklus handelt (übertroffen nur noch von San Marco in Venedig und Monreale auf Sizilien), sondern, dass es – als Grablege eines byzantinischen Gelehrten, Theodoros Metochites (cca. 1260-1332) – eine Komplexität der Themen aufweist, wobei der theologische Gehalt bislang unvollständig erschlossen bleibt. Die literarischen Quellen, aus denen die Bilder komponiert wurden, waren Szenen aus dem Alten Testament (mit Bezug auf Tod, Auferstehung und Leben nach dem Tod), aus dem Neuen Thestament (insbesondere Lukas-Evangelium) und Apokryphen – das sogenannte Protoevangelium des Jakobus, Evangelium des Pseudo-Matthäus und Marienevangelien.

Theodoros Metochites war Politiker und Regierungschef unter Andronikos II. Palaiologos (1282-1328), er veranlasste einen Neubau der Kirche und die Ausstattung mit Mosaiken und Wandmalereien sowie den Ausbau des Klosters und der Bibliothek. Nach seiner Verbannung nahm Metochites den Namen Theoleptos an, zog sich 1330 hier zurück und wurde zwei Jahre später hier bestattet. Das Bildprogramm könnte von ihm oder auch von Nikephoros Gregoras (1295-1359/61) entworfen worden sein. Die Themen waren das Leben Mariens, die Kindheit Christi, das Leben und Wirken Christi, Repräsentationsdarstellungen (wie der Pantokrator, das Stifterbild, Deesis und Heilige) und ein Festbildzyklus (im Naos nur noch die Koimesis erhalten). Ich erinnere mich, dass es sehr viel Spaß bereitete, die Szenen aus der Kindheit und der Jugend Mariens mit den apokryphen Texten zu vergleichen und ikonographische Verwandtheiten zu entdecken. Sicher müsste einer umfassenden Interpretation mehr als nur ein oberflächliches Referat zugrunde liegen, aber die Möglichkeit, den Gedanken des Stifters anhand der Mosaiken zu folgen, bewegte mich dazu, die Texte vor Ort zu lesen und auf die Details der Darstellungen aufmerksam zu machen.

Anfang Juni 1998 endete die erfolgreiche Exkursion. Zwei Jahre später verließ ich Köln und auch die Byzantinische Abteilung der Universität auf der Suche nach neuen Themen in der Geschichte der Kunst. Ohne Kenntnisse der griechischen Sprache konnte ich den ganzen Umfang von Byzanz nur erahnen, aber nie richtig verstehen. Ich sah mich damals nicht in der Lage, mir die Sprache zufriedenstellend anzueignen, so dass ich verschiedene Schriften im Original hätte lesen können. Außerdem wusste ich, dass die Kunst des Byzanz ein Fach der Lücken ist. Sicher arbeitet man in den historischen Wissenschaften immer mit Lücken, aber in Byzantinistik ist das nochmal schlimmer. Kaum etwas ist erhalten, vieles wurde zerstört, Spuren reichen meist nicht aus, um zusammenhängende Bilder zu ergeben. Vielleicht habe ich etwas versäumt, aber im Westen auch viel Neues erfahren.

Bilderquelle: Wikipedia, Chora-Kirche, 2023.

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Von Byzanz weg… / unterwegs (Serie)

An ein Praktikum in der nördlichen Moldau und der Bukowina nach dem vierten Semester Kunstgeschichte an der Bukarester Akademie der Kunst erinnere ich mich immer wieder gerne. Wir hatten die Aufgabe, die ikonographischen Programme der Malereien in den mittelalterlichen Kirchen zu verfolgen und Abweichungen zu interpretieren. Es war ein heißer Sommer und wir suchten alle relevanten Klosterkirchen mit Aussen- und Innengemälden auf. Damals lernte ich von der damaligen Professorin Corina Popa (*1942), dass es für Kunsthistoriker*innen keine verschlossenen Türen gibt, wenn es um Kunst geht.

Wir gingen entschieden in die Kirchen rein bis zum Altarraum, der in orthodoxen Ländern nur dem Priester vorbehalten ist und hielten uns dort auf, bis alle Heiligendarstellungen erschöpfend besprochen waren. Den entrüsteten Nonnen erörterten wir den Wert der Kunst und der Denkmale, der auf jeden Fall als der religiösen Nutzung übergeordnet zu sehen sei. Erst nachdem wir alles aufgezeichnet und vertieft hatten, verließen wir wieder die Räumlichkeiten unsicher darüber, ob wir selber unter Zeitdruck zum nächsten Denkmal eilten oder mehr oder minder verdeckt rausgeschmissen wurden.

Auf jeden Fall nahm ich die Überzeugung mit, dass ich vor verschlossenen Türen an Denkmalen keinen Halt machen muss. Und in meinen späteren Reisen durch Europa sah ich eigentlich alles, was ich sehen wollte, sei es dass der Schlüssel einer romanischen Kirche mittags bei einem schlafenden Küster war, sei es dass der Besuch einer Sehenswürdigkeit nur einer begrenzten Anzahl von Touristen gestattet wurde, oder dass in einem bestimmten Raum gerade getagt, gefeiert oder gebetet wurde.

In einem Sommer in den 1990er Jahren des 20. Jahrhunderts war ich in einem Urlaub auf der Chalkidiki. Ich nahm das als Anlass auch Thessaloniki zu besuchen und da die byzantinischen Kirchen. Seit einer Reise in meiner Kindheit war ich in dem Griechenland meiner Großeltern nicht mehr gewesen und vieles wusste ich nicht mehr. An der Osios David, der Kirche des ehemaligen Latomos-Klosters – seit 1988 Teil des UNESCO-Welterbes – war der Pförtner unwillig uns, wenigen Touristen, die Tür zu öffnen. Es war Mittag, es war heiß, er setzte sich auf einer Bank vor dem Eingang in der Kirche und machte keine Anstalten die Kirche jemals öffnen zu wollen. Nach einiger Wartezeit, in der sich niemand und nichts bewegte, sammelte ich meine Erinnerungen der griechischen Sprache zusammen – „Du kannst das, was die Griechen vergessen haben“, pflegte mein Großvater zu sagen -, und bat ihn in seiner Sprache, uns den Raum zu öffnen. Tatsächlich leuchtete sein Blick auf, er erhob sich, holte die Schlüssel aus der Tasche und öffnete mit einer breiten Geste die Tür. Ich wusste, dass ich so schnell nicht wieder jene Orte besuchen würde und ich war froh, damals diese einmalige und sehr frühe Darstellung in Mosaik des bartlosen Christus zu bewundern. Was ich denn dem Pförtner geflüstert hätte, wollte ein westlicher Tourist wissen, der sich über den Wandel in der Gesinnung des Gastgebers wunderte. „Ich weiß es nicht“, antwortete ich, „aber es war wohl richtig.“

Den Rest des Urlaubs verbrachte ich auf Sithonia und träumte davon Athos besichtigen zu können. Am Strand schmiedete ich Pläne, in denen ich als Mann verkleidet vom Meer aus die Halbinsel erreichen würde. Dann würde ich mich von Kloster zur Einsiedlung und zum Stift schleichen und jene Kunstwerke betrachten, die Athos niemals verlassen haben. Ich frage mich, ob es heute möglich ist, mit der neuen Technologie, mittels einer Kamera an einer Live-Reise für alle, die Athos nicht betreten dürfen, teilzunehmen? Ob Athos Internet kennt? Dann könnten vielleicht  Kunsthistoriker von calaios.eu einmal hinfahren und für uns die Türen öffnen. Damals gab ich mich am letzten Tag meines Aufenthalts in Thessaoniki zufrieden mit dem Besuch der ersten Ausstellung in Griechenland, in der die „Schätze vom Berg Athos“ (1997) einer breiten Öffentlichkeit gezeigt wurden.

Der festen Gläubigkeit hingegen fielen nach der Wende in Rumänien einige Denkmäler zum Opfer. In so manchen Gegenden trugen die Bewohner alte Kirchen ab und ließen neue und „schöne“ an ihrer Stelle errichten. Ich war bereits im Westen, hörte hin und wieder von den verzweifelten Aufrufen von Kunst- und Kulturschaffenden vor Ort und konnte die Ereignisse nicht einmal mehr verfolgen. Ein anderer, anstrengender Alltag nahm mich mit in ein anderes Leben, weg von Byzanz. Das Los der Denkmale aber ist jener, anderer Werke der Menschheit ähnlich. Einiges bleibt erhalten, anderes wird zerstört, wenige werden gerettet, die meisten vergessen, umgebaut, dem Erdboden gleich gemacht. Für Kunsthistoriker bleiben Bruchstücke, Erinnerungen, Fragmente schriftlicher oder materieller Zeugnisse, Spolien und Palimpseste, aus denen eine vergangene Zeit mehr oder weniger realitätsgetreu  nachgezeichnet wird.

 

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In Erwartung wichtiger Treffen im digitalen Raum, nicht verpassen (III.)

Nachdem die internationale Online-Konferenz des Wiener Belvederemuseums „Das Kunstmuseum im digitalen Zeitalter“ (vom 17. zum 21. Januar 2022) erfolgreich – siehe #belvederemuseum und #digitalmuseum – zu Ende gegangen ist, fiebert die Community der Kunsthistoriker*innen den nächsten virtuellen Ereignissen entgegen.  In Erwartung der angekündigten Keynotes auf der Internetseite des Museums für all jene, die das Treffen verpasst haben oder nachhören wollen, bereitet man sich auf Twitter schon auf die nächsten Hashtags – wie #AgileKultur,  #neueRelevanz, #museenderzukunft und #kupoge2022, außerdem auf die Veranstaltungen #dhd2022 und #arthistoCamp beziehungsweise #kht2022 im März 2022 vor.

 

Am Donnerstag, den 10. Februar 2022 von 16:00 h bis 18:00 h findet die digitale Release-Veranstaltung zum jüngst erschienen Sammelband „Die Museen der Zukunft. Trends und Herausforderungen eines innovationsorientierten Kulturmanagements“ statt. Zur Veranstaltung laden die Organisatoren – der Landesverband der Museen zu Berlin (@lmb_berlin), die Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. (@kupoge) und das Netzwerk „Agile Kultur“(@agilekultur) unter diesem Link ein, eine erste Rezension schrieb bereits am 5. Januar @kulturtussi in dem bekannten Blog ankevonheyl.de unter der Kategorie „Digitalisierung“. Ende Januar 2022 waren – wie hier von @Zukunftsmelder berichtet – bereits 400 Teilnehmer angemeldet, die das Treffen mit dem Herausgeber, Henning Mohr, den Autor*innen (darunter Patrick S. Föhl, Anna Greve, Daniel Neugebauer und Ivana Scharf) und dem Moderator @MZierold erwarten.

 

Keine fünf Tage später, am Valentinstag, Montag, den 14. Februar 2022, von 18:30 h bis 20:00 h, treffen die Autor*innen und Herausgeber*innen des ersten Bandes – „Agilität in der Kultur“ – der dreiteiligen Publikationsreihe – „Kultur in Bewegung. Agilität – Digitalität – Diversität“ – zu einer Diskussionsveranstaltung im Internet zusammen. Die Neuerscheinung der LWL-Kultur (Kulturnetz des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe) wurde zusammen mit der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. und dem Netzwerk Agile Kultur veröffentlicht, von der LWL-Kulturstiftung gefördert und kann kostenlos als PDF heruntergeladen werden. Neben dem Programm der relativ kurzen Release-Veranstaltung „Agile Kultur“ gibt es auch den Button zur Anmeldung hier.

 

Vom 7. zum 11. März 2022 findet unter der Überschrift „Kulturen des digitalen Gedächtnisses“ online die 8. Jahrestagung des Verbands „Digital Humanities im deutschsprachigen Raum“ statt, ausgerichtet von @unipotsdam und @fhpotsdam mit @dh_potsdam. Vor einem Jahr als Präsenzveranstaltung angekündigt, findet das Treffen pademiebedingt doch ausschließlich virtuell statt. Die Anmeldung zur @Dhd2022 kann hier vorgenommen werden, das Programm mit allen Workshops, Vorträgen, Panels und Posters befindet sich hier. Neben vielen Sitzungen zu digitalen Archiv- und Kunstsammlungen weise ich auf den Donnerstag, den 10. März, hin,  wenn der Vormittag unter anderem der digitalen Kunstgeschichte, speziell für die Vorstellung der und Diskussion zur Suchmaschine iART reserviert ist.

 

Der XXXVI. Kunsthistorikertag wurde auf Twitter von @wpippich recht verhalten angekündigt, doch darf der Sachverhalt nicht über die Reichweite der Veranstaltung hinwegtäuschen. Unter dem Titel „Form Fragen“ wird er zwischen dem 23. und dem 27. März mit wie üblich reichem Angebot analog in Stuttgart stattfinden. Der Arbeitskreis Digitale Kunstgeschichte (#DigitaleKunstgeschichte), der am 2. Februar 2022 sein 10jähriges Jubiläum feierte, organisiert am Dienstag, den 22. März 2022 von 10:00 h bis 16:00 h einen #arthistoCamp als virtuelle Vorkonferenz zur Tagung. Über den Ticketshop des #kht2022 kann man sich in Kürze dafür kostenlos anmelden. Das Treffen mit dem dazugehörigem Hashtag wurde Anfang Februar bei Twitter von Harald Klinke signalisiert.

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iART – ein Tool zum Vergleich großer Datenmengen bietet interessante Analogien

Gibt man in der Suchmaschine www.iart.vision die Stichwörter „Lady with Camellias“ ein, so hat man zuerst den Eindruck, dass der Bildschirm brennt. Wie es die europäischen Datenbanken wollen, aus denen der Tool seine Ergebnisse schöpft, sticht eine heteronormative Sicht des Themas heraus. Von Hellrosa bis Dunkelrot brennen sich die weiblichen Porträts samt Blumenstäussen, -kränzen und -arrangements in das Bewusstsein der Betrachter, bevor diese überhaupt die unterschiedlichen Genres oder die einzelnen Epochen auseinanderhalten können. Ob adlig oder bürgerlich, ob arm oder reich, ob bekleidet oder nicht, oberste Attribute aller dargestellten Damen sind Sinnlichkeit und Attraktivität. So als ob von Titian und Rembrandt über Van Dyck, Largillière und Boucher bis hin zu den Präraffaeliten und den Fashion-Zeichnern der Biedermeierzeit, quer durch alle Schulen und Regionen Europas immer nur die eine ideellen Kameliendame gemalt worden wäre, das Sinnbild von weiblicher Schönheit und Erotik.

 

Interessant ist allerdings, dass bei einer genaueren Betrachtung der Abbildungen und einer differenzierten Clustereinstellung sich der Verdacht einstellt, dass in den Frauenporträts mit Blumen der späteren Jahrhunderte – als das barocke Rollenspiel in Anlehnung an die Antike abklang – nach Wunsch des Malers, des Modells oder des/der Auftraggebers*in eigentlich auch (nur) Varianten von Venus beziehungsweise Flora abgebildet wurden. Gibt man in die Suchmaschine die Termini „Venus“ oder „Flora“ ein, erscheinen allerdings ganz andere Ergebnisse, mit denen man als Kunsthistoriker*in auch rechnet. Die Venusdarstellungen sind allesamt Aktbilder, die Flora-Darstellungen – blumig und mädchenhaft. Dass der oben beschriebene Schönheitideal, welches in der Romantik der Literatur entlehnt wurde, in der Kunst so weit zurückreichende und zahlreiche Vorbilder hat, war mir in dieser Form nicht bekannt, wird aber jetzt dank der Suchmaschine sehr deutlich. Zwischen den Venus- und Flora-Typen erscheint ein anderes Frauenbild, welches die beiden Vorgänger vereint, sich im Laufe der Jahrhunderte in der Malerei profiliert hat und in der Romantik im wahrsten Sinne des Wortes zur Blüte gelangt ist.

 

Ein anderes Beispiel zeigt, dass dieses Ergebnis keineswegs ein Zufall ist, sondern die Suchmaschine tatsächlich in der Lage ist, neue und interessante Perspektiven auf die Kunst zu werfen. Probiert man eine Suche nach den Gemälden von Chardin erscheinen selbstverständlich erstmal seine zahlreichen Stillleben und die wenigen Genrebilder. Doch auf den sieben Seiten Suchergebnissen befindet sich vor allem holländische Genremalerei, mit der man vielleicht in solcher Fülle nicht gerechnet hätte. Denn, auch wenn bekannt ist, dass Jean Simeon Chardin (1699-1779) sich von der flämischen Malerei hat inspirieren lassen, sind in der Forschung bislang zunächst die Stillleben als Vergleich bei Recherchen hinzugezogen worden und gelegentlich Frauenfiguren bei Hausarbeiten in der Genremalerei. Hingegen wird jetzt deutlich, dass vor allem aus Flandern die Küchenszenen des Barocks die Atmosphäre teilen. So als ob Chardin die bäuerlichen Figuren ausgespart und sich dem Hausrat aus diesen Bildern gewidmet hätte. Daraus hat er einen eigenen Stil entwickelt und ein malerisches Universum geschaffen, in dem seltene und verhaltene Menschensilhoutten zwischen scheinbar beseelten Gegenständen agieren. Dass genau dieser Aspekt seiner Kunst – vermutlich auf dem Umweg von Stichen – dem niederländischen Barock entlehnt werden konnte, ergänzt substantiell das Bild des französischen Malers in der Geschichte der Kunst.

 

Schließlich habe ich das Suchfeld auf www.iart.vision mit dem Begriff „unicorn“ versehen und über die Ergebnisse gestaunt. Nein, das Einhorn in der Geschichte der Kunst, ist nicht oder nicht nur mit vornehmen Damen, Turinieren und kostbaren Interieurs in Verbindung zu bringen, sondern eher mit Tierdarstellungen wie mit Böcken, Rindern und weißen Pferden. So war es zunächst vermutlich eher mit grotesken Figuren im Gefolge von Bacchus assoziiert, als mit zart besaiteten Wesen der mittelalterlichen Minne. Auf jeden Fall aufgrund der Suchergebnisse des iART-Tools kann man von einem wechselhaften und ungewöhnlichen Werdegang des Motivs in der Kunstgeschichte Europas ausgehen.

 

Hier geht es zum DFG-Projekt „iART“ auf der Seite des Instituts für Kunstgeschichte der Maximilians-Universität in München.

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DigAMus-Award 2021: Die Podcasts (I)

Eines der digitalen Formate, das während der Corona-Zeit im Museumsbereich Kunstvermittlung eindeutig gewonnen haben, ist der Podcast. Angefangen hat er als geeignetes Mittel zur Verbreitung von Musik in sozialen Medien und hat sich danach in allen Bereichen von Bild- und Wortbeiträgen entwickelt. Für viele Kulturinstitutionen wurde er dank seiner journalistisch flexiblen Form aufgenommen und weiterentwickelt. Der Podcast kann verschiedene Arten von Feature, Interview, Bericht u.a.m. erfahren und mit Videoaufnahmen und Illustrationen angereichert werden. Er kann auch vielfach in der Zeit gestaltet werden und ist leicht über Internet-Plattformen zu verbreiten. Die technischen Voraussetzungen zur Herstellung eines Podcasts sind leicht zu erlernen und mit einfacher und günstigen Freeware zu handhaben.

 

Das alles hat dazu geführt, dass im Kulturbereich sehr viele Podcasts produziert werden und einige von Ihnen auch den Weg zum DigAMus-Award 2021 (Kategorie 5) gefunden haben. Ein Überblick könnte dazu dienen, sich einen Eindruck von der Vielfalt des Mediums und seiner Reichweite zu machen. Es werden hier der Form halber allein jene Einreichungen besprochen, die für die Sparte „Podcast“ kandidiert haben, obwohl damit das Angebot von Museen und Kulturinstitutionen nicht erschöpft wird. Bewerber in anderen Kategorien des DigAMus-Awards 2021 haben ebenfalls Podcasts erstellt, jedoch nicht damit, sondern primär mit anderen Formaten am Wettbewerb teilgenommen. Trotzdem lohnt es sich auch über diese Zusammenfassung hinaus, die Beiträge auf der Seite des jungen Museums-Preises aufzurufen und jene hybriden Formate einzusehen, die im letzten Jahr erarbeitet wurden und in denen der Podcast eine zwar untergeordnete jedoch wichtige Rolle einnimmt.

 

Das Museum für Kommunikation in Nürnberg hat in diesem Jahr einen Podcast über das Volontariat im Museum eingereicht. Der Podcast „VoloMuPo“ ist „ein Podcast zum Informieren, Vernetzen und Austauschen von Volontär*innen, Interessierte u.a.“, der von der Museumsstiftung Post und Telekommunikation finanziert wurde. Die zehn Episoden sind über die Webseite des Museums, unter „Digitales Museum“ abrufbar. Sie bestehen in Diskussionen mit Gästen von Museen bundesweit und dauern jeweils über eine Stunde, wobei der Ablauf der Sitzungen auch schriftlich fixiert ist.

 

Das internetaffine Museum Burg Posterstein in Thüringen bewarb sich diesmal mit einem Geschichts-Podcast mit dem Titel „LeseZEIT“, eigentlich eine Reihe von Blog- und Podcast-Beiträgen mit kleineren Erzählungen aus der Geschichte des Hauses. Die bislang fünf Folgen sind diskret am Anfang und am Ende musikalisch untermalt und werden durch Bilder und Texte im Blog „Geschichte & Geschichten“ ergänzt. Der Zugang zu den kurzen, 15- bis 20-minütigen Podcast-Episoden ist leicht über die Blogseite des Museums unter dem Menüpunkt „LeseZEIT“ zu finden.

 

Eine andere Kulturinstitution mit Museumsformat aus Thürigen – die Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße in Erfurt (ehemalige Stasi-Untersuchungshaftanstalt) – reichte einen Podcast in sieben Folgen ein, der als „Funkturm der Freiheit“ gefeiert wurde. Der Podcast mit dem Titel „Horchpost DDR“ umfasst die Zeit des Umbruchs im Jahr 1989 (mit Vorboten in den 1980er Jahren), wobei in jeweils 15 Minuten verschiedene Zeitzeugen zu Wort kommen. Die Gedenkstätte mit ihrem digitalen Angebot kann über die Seite der Stiftung Ettersberg für europäische Diktaturforschung und Aufarbeitung der SED-Diktatur erreicht werden. Der Podcast ist über die Webseite der Gedenkstätte unter Menüpunkt „Extras“ und auf der Internetseite von Spotify abrufbar.

 

Das sehr heterogene Museum Reinheim in Hessen „… zu Gast in der Vergangenheit“ hat eine Podcastserie mit Themen aus der Geschichte des Ortes, Vorstellung von Mitarbeitern und Ausstellungsbegleitung vorgeschlagen. Die Reihe mit Beiträgen von rund 10 Minuten begann am diesjährigen Museumstag mit einem Podcast zu jüdischem Leben in Reinheim. Am 9. November 2021 greift das kleine Museum das Thema wieder auf und veranstaltet einen Rundgang auf den Spuren jüdischen Lebens in dem hessischen Ort. Die Podcasts sind auf der Seite des Museums in dem gleichnamigen Kapitel zu hören.

 

Der Podcast, den das Jüdische Museum in München zum DigAMus-Award 2021 eingereicht hat, ist ein Storytelling-Podcast in vier Episoden à 15 Minuten über den Forscher, Journalisten, Bibliothekaren und politischen Aktivisten Mordechai W. Bernstein. Mit einer ausgezeichneten Hörqualität wurde der Podcast als Begleitung der Ausstellung „‚Was gibt’s?‘ Im Labyrinth der Zeiten. Mit Mordechai W. Bernstein durch 1700 Jahre deutsch-jüdischer Geschichte“ gedacht. Der Podcast unter dem Titel „Die Reise“ ist in vier Teilen – „Eine Welt in Bewegung“, „Gehen oder bleiben?“, „Im Land der Täter“ und „Zurück in die Zukunft“ – unterteilt und auch von der Internetseite der Ausstellung (bis 13. Februar 2022) abrufbar.

 

Fortsetzung folgt.

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Aktuell: DigAMus-Award 2021 – digitale Angebote von Museen zwischen Natur und Kultur

Knapp zehn Tage ist es her, dass die Gewinner des diesjährigen DigAMus-Award bekannt gegeben wurden. Die zwei Jahre junge Auszeichnung ist für die digitalen Angebote von Museen im Internet wichtig und sie beherrscht mit ihrem Ablauf – Einreichung nach Kategorien, Einbeziehung des Publikums für einen gesonderten Preis, Auswahl der Short-List, Verleihung der Awards – einige Monate lang das Leben der (vorerst nur deutschsprachigen) Museen. Newsletter von Kulturagenturen, Wortmeldungen in den sozialen Medien, Blogbeiträge von Kunst- und Kulturakteuren begleiten konstant dieses Ereignis von seinen Anfängen (im Spätsommer) bis zum Höhepunkt und Ausklang (im Herbst). Das Echo des DigAMus-Award klingt auch danach nicht ab – obwohl es ein wenig abnimmt -, weil die digitalen Beiträge der Museen immer und von überall aus das ganze Jahr über auf der Seite des – im Bereich digitale Kulturvermittlung – jetzt schon rennomierten Preises einsehbar sind.

 

Der Preis wurde in fünf Kategorien – Apps & Games, Hybrides Angebot, Webseite oder Online-Ausstellung, Social-Media-Aktionen, Podcasts – verliehen, hinzu kamen noch drei Sonderpreise – Sonderpreis Kleines Budget, Sonderpreis Inklusion & Interaktion und Publikumspreis. Fast alle preisgekrönten Einreichungen thematisieren – im Gleichtakt mit der alles beherrschenden Debatte in Politik und Gesellschaft -, direkt oder indirekt Mensch und Natur in ihrer Vergänglichkeit und der damit zusammenhängenden Verwandlung. Dabei widmen sich manche Beiträge – wie die Social-Media-Aktion des Museums Burg Posterstein in Thüringen #Garteneinsichten oder die App des Neanderthal-Museums in Mettmann „Neanderthal: Memories“ – ganz dem Thema Leben in der Natur, während andere – wie das Neu-Ulmer „Edwin-Scharff-Museum“ mit der Ausstellung „Architektierisch“ und/oder das Staatliche Museum für Archäologie in Chemnitz (smac) mit dem inklusiven Angebot „Die Stadt. Zwischen Skyline und Latrine“ – das Zusammenwirken von Natur und Kultur in den Vordergrund stellen. Selbst der äthiopische Mantel, der von dem Museum Villa Freischütz in Meran in einem Podcast gewürdigt wurde, spricht durch Farbgebung und Dekor, implizit über die Natur entfernter Regionen und vergangener Zeiten. Sicher steht aber bei diesem Exponat – wie auch bei dem Beitrag des Züricher „Johann-Jacobs-Museums“, der in der Sparte Apps & Games ausgezeichnet wurde, „uiivit. Dinge von gestern. Heute verstehen.“ – das zweite aktuelle Thema der heutigen Kulturszene Europas, der Kolonialismus, im Vordergrund.

 

Wie eine Zusammenfassung dieser Mensch-Natur-Problematik wirkt bei dieser Auswahl die, in der dritten Kategorie mit Preis versehene Online-Ausstellung „Ich hasse die Natur“ der Klassik Stiftung Weimar. Als Ergänzung zu der gleichnamigen, analogen Ausstellung im Schiller-Museum gedacht, bleibt sie nun im digitalen Raum ein Echo des Jahresthemas 2021 „Neue Natur“, wobei der in Anlehnung an Thomas Bernhard entstandene Titel „‚Ich hasse die Natur!‘ Mensch – Natur – Zukunft“ die Ziele der Ausstellungsmacher*innen benennt. Keine Harmonie wird also vorgetäuscht, sondern ganz aktuell und provozierend der Tod in den Mittelpunkt gestellt. Es wird das Verhältnis zwischen Mensch und Natur als Kräftemessen in drei, mit Musik von Ekkehard Ehlers untermalten Kapiteln gezeigt.

 

Das erste Kapitel „Killing us softly (Weiterleben)“ zeigt die menschliche Vergänglichkeit anhand von Krankheit, Seuchen und Tod. Die Natur scheint mit ihrer Kraft über die Menschen zu bestimmen,  die ihr ein religös geprägtes Weltbild und den damit verbundenen Glauben von einem Leben nach dem Tod entgegenstellt. Totenmasken, realistische Krankheitsbilder und Requisiten des Alters beleben dabei visuell die schriftlichen Ausführungen. Im zweiten Kapitel „Destroy (Zerstörung)“ scheinen Natur und Kultur in einem zerstörerischen Kampf zu liegen, aus dem es kein Entkommen gibt. Bilder der Vergangenheit, aber auch Arbeiten moderner Kunst illustrieren einerseits die Zerstörung der Natur durch Menschen und, andererseits die Wiederkehr der Natur im ehemaligen, menschlichen Lebensraum. Ergreifend sind hierbei die Fotos Flo Döhmers über den Verfall und über das Vergessen von beispielsweise Prypjat (bei Tschernobyl), aber auch die Arbeit „Library“ der amerikanischen Künstlerin Lori Nix, in der Bäume und Bücher ad litteram gegenüber gestellt werden und eine nostalgische Einheit in einem vorgestellten, hybriden Raum der Zukunft bilden.

 

Im dritten Kapitel der digitalen Ausstellung „A Reflexion (Panta rhei)“ werden schließlich drei Modelle der Zukunft angerissen. Im einen Modell wird ein Fortleben des jetzigen Anthropozäns, des konfliktbeladenen Zusammenspiels von Mensch und Natur imaginiert. Ein nächstes postuliert ein Zeitalter – Dendrozän -, in dem der Mensch verschwindet und die Natur die Oberhand gewinnt. Das letzte Szenario gilt dem Novozän, in dem weder Mensch noch Natur sondern eine künstliche Intelligenz die Welt erobert und beherrscht. Besucher des virtuellen Raums können am Ende einem Podcast mit dem Titel „Back to the Future“ folgen, in dessen Verlauf zwei Medienwissenschaftler von der Universität Bonn – PD Dr. Christoph Ernst und Prof.Dr. Jens Schröter – auf einige Fragen des Publikums antworten, über die verschiedenen, hier aufgezählten Zukunftsszenarien sprechen und zu weiterführenden Diskussionen anregen.

 

 

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Das Piranesi-Prinzip: Eine zeitlose Ausstellung im Internet

Im Schatten der Corona-Pandemie fand vom 04. Oktober 2020 bis zum 07. Juli 2021 in der Berliner Kunstbibliothek eine Ausstellung zum 300. Geburtstag von Giovanni Battista Piranesi (1720-1778) statt, die gemeinsam von Studierenden, Kurator*innen und Forscher*innen der Kunstbibliothek und dem Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt Universität zu Berlin konzipiert wurde und in Kurzfassung bei Google Arts & Culture auch nach dem Event besichtigt werden kann. Es ist an sich nichts Außergewöhnliches, zum runden Geburtstag eines berühmten Architekten, eine Ausstellung mit Exponaten aus dem Bestand einer Kunstsammlung auszurichten, doch griff die hier thematisierte Schau über dieses Vorhaben hinaus. Das liegt nicht allein an der komplexen Persönlichkeit Piranesis, der Archäologe, Künstler, Architekt, Sammler, Designer, Verleger und Autor in einem war, sondern vielmehr an dem Konzept der Ausstellung, die sich nicht zuletzt als Hommage an eine geschichtsträchtige Stadt wie die Stadt Rom präsentierte.

 

Das Piranesi-Prinzip besteht nicht allein in den mannigfaltigen Entwürfen von Architektur, die bei diesem italienischen Meister des späten Barock unterschiedliche Bereiche – wie Design (Kaminentwürfe), Theaterkulissen (Bühnenentwürfe und Gruselkabinette), Veduten (Denkmal- und Stadtansichten) und Urbanistik (Rekonstruktion von alten Stadtteilen) – abdeckt, sondern und vor allem in der Verwertung und in der Aufwertung von Althergebrachtem, von Ruinen, Fragmenten von Statuen, überwuchernder Natur, von Mauerresten bis hin zu verbrauchtem und vergilbtem Papier. Im Werk dieses Künstlers, der sich dem Verfall einer Stadt verschrieben hat, scheint der antike Ruhm Roms erstrecht aufzublühen und der unverwechselbare Charme der neuzeitlichen Metropole zu liegen. Die kraftvolle Zeichnung des Meisters ist nicht nur Ausdrucksmittel eigener Persönlichkeit, sondern auch der Schönheit einer Architektur, die in ihrer ständigen Verwandlung lebendig bleibt.

 

Betrachtet man die Rekonstruktion des Circus Maximus in Rom sieht die Architektur wie eine Traumkulisse aus, die wann immer auf- und abgebaut werden kann. In den Entwürfen ist dieser Aspekt der potentiellen Abänderung oder der Metamorphose von Architekturelementen noch deutlicher. Wiederholte, sich schlängelnde oder sich verlaufende Linien heben die Formen aus der zweidimensionalen Fläche des Papiers hervor und suggerieren zugleich einen möglichen, anderen Verlauf und somit nicht ausgeführte aber im Blick des Betrachters entstehende, potentiell neue Anordnungen. Der/Die damalige Besucher*in von Piranesis Werkstatt und Sammlung und der/die heutige Nutzer*in des digitalen Angebots kamen und kommen mit Sicherheit ohne technischen Hilfsmittel zur Interaktion mit den Bildern. Es gibt viel Raum, um die Kulissen nach eigenem Geschmack in der Vorstellung zu ergänzen, denn man wird von diesem Meister der optischen und geistigen Verführung an jedem Detail der Zeichnung abgeholt.

 

Eine auf jeden Fall zu empfehlende Ausstellung im Internet, bestimmt auch mit aufschlussreichem, anschließendem Besuch der Bestände der Kunstbibliothek in Berlin.