Kategorien
Allgemein Autor*innen Digitales Bild Influencer*innen Kunst Kunstgeschichte Kunsthistoriker*innen Nicht verpassen Tagung Vortrag Wandel

Digital Culture Summit 2023 in Köln, nicht verpassen (IV.)

Am 25. und 26. September 2023 findet in Köln im KOMED, Zentrum für Veranstaltungen im MediaPark Köln, anlässlich des 10jährigen Jubiläums der Pausanio Akademie, ein erstes Digital Culture Summit statt. Eine Teilnahme vor Ort wie auch eine digitale Teilnahme sind noch gegen die Entrichtung einer Gebühr, die auf finanzschwache Teilnehmer*innen Rücksicht nimmt (199,- €/159,- € bzw. 149,- €/119,- €), möglich. Ein Blick auf das Programm der Tagung verspricht interessante Impulse für all jene Akteur*innen, die im digitalen Zeitalter in der Kultur tätig sind oder es sein wollen.

Nach Grußwörtern (Ina Brandes, Andree Haack und Prof.Dr. Holger Simon) und Einführung in das Thema (Dr. Felicia Sternfeld und Dr. Annette Doms) werden am ersten Tag der Stellenwert der digitalen Kompetenz in Kultur (Dr. Christian Gries und Dirk von Gehlen), die neuen, durch digitale Transformation generierten Arbeitsweisen (Paul Spies, Miriam Mayer-Ebert und Beate Lex) sowie das Verhältnis von Mensch und Maschine (Reinhard Karger, Dr. Tabea Golgath und Prof.Dr. York Sure-Vetter) umrissen werden. Der zweite Tag ist dann dem Publikum im digitalen Zeitalter (Prof.Dr. Patricia Rahemipour, Marcus Lobbes, Melanie Lauer und Constantin Pelka), der zu verändernden Kulturinstitutionen (Dr. Doreen Mölders, Dennis Wittrock und Michael Wuerges) und den neuen Leitprinzipien in kulturellen Organisationen (Diandra Donecker und Julia Becker) gewidmet. Parallel zum Bühnenprogramm gibt es Masterclasses zur neuen, Inter-Pares-Zusammenarbeit in Institutionen als eine Arbeit auf Augenhöhe (Dennis Wittrock), zum Einsatz von künstlicher Intelligenz im Kulturmarketing (Holger Kurtz), zum Fundraising in der Kultur (Sophia Athié) und zu dem aktuellen Urheberrecht (Prof.Dr.Dr. Grischka Petri).

Ziel der Veranstaltung ist es jene Kräfte in Kultur zu bündeln, die eine digitale Offensive für notwendig halten, die ausstehenden Erneuerungen anzustoßen und die Digitalität im Zentrum kulturellen Lebens zu stellen. Eine Teilnahme vor Ort ist nicht notwendig, aber empfehlenswert, um das Netzwerk zu stärken und nicht zuletzt, um am 25.09. nach 18:00 Uhr an der Party mit kölschem Büffet teilzunehmen. Wenn für Kulturakteur*innen Köln zu weit liegt, ist wenigstens eine digitale Teilnahme wichtig, um sich mit den aktuellen Fragen der Branche vertraut zu machen und auf das Material der Tagung wann immer zurückgreifen zu können.

Eine visuelle Überraschung auf der Tagung wird das Projekt der Künstlerin Meral Alma sein, das später für einen guten Zweck im Bereich der digitalen Bildung gespendet wird.

Kategorien
Allgemein Ausstellungen Collage Denkmale Digitales Bild Europa Kunst Kunstgeschichte Kunsthistoriker*innen Museen Nicht verpassen Reise Unterwegs Wandel

Flowers Forever in der Kunsthalle München (2. Teil)

Zwischen dem Bereich realer Pflanzen und jenem der Blumen in der Kunst befindet sich ein Raum, in dem Phantasieblumen an den Wänden projiziert werden. In der Installation von Miguel Chevalier (*1959) erschafft künstliche Intelligenz Blumen, lässt sie gedeihen und wieder welken. Keine der Pflanzen escheint zwei Mal und die Besucher in dem Raum beeinflussen die Projektion.

In einem der beiden großen Säle der Kunsthalle gibt es historische Blumenstillleben, zeitgenössische Werke, die mit den älteren Bildern in Dialog treten und Arrangements künstlicher Blumen. Ein Millefleurs-Wandteppich des 16. Jahrhunderts aus Belgien, ein blau-weißes Kachelbild mit Blumenvase ungefähr der gleichen Zeit aus Damaskus harmonieren mit einem Tulpenkabinett aus der Mitte des 17. Jahrhunderts von Herman Doomer (1595-1650) aus Amsterdam.

Herman Doomer (ca. 1595-1650), Tulpenkabinett, ca. 1635-1650, Zedernholz, Ebenholz, Elfenbein, Permutt, Museum Boljmans Van Beuningen, Rotterdam
Herman Doomer (ca. 1595-1650), Tulpenkabinett, ca. 1635-1650, Zedernholz, Ebenholz, Elfenbein, Permutt, Museum Boljmans Van Beuningen, Rotterdam

Anna Ridler (*1985) greift das Motiv der Tulpe auf, um in einer Videoinstallation (Mosaikvirus) das Phänomen des Bitcoin zu thematisieren. 1637 führte der spekulative Tulpenhandel in den Niederlanden zum ersten Crash der Wirtschaftsgeschichte. Weder Tulpen noch Bitcoins haben einen reelen materiellen Wert. In der Arbeit schließen und öffnen sich Tulpen entsprechend den Schwankungen des Bitcoin während des Martktes 2017/18. Der Titel bezieht sich auf ein Virus, das die Musterung der Tulpen verursacht.

Anna Ridler (*1985), Mosaikvirus, 2019, 3-Kanal-GAN-Videoinstallation, Farbe, ohne Ton, 30 Min., Seamless Loop, Courtesy Anna Ridler und Galerie Nagel Drexler Berlin / Köln / München
Anna Ridler (*1985), Mosaikvirus, 2019, 3-Kanal-GAN-Videoinstallation, Farbe, ohne Ton, 30 Min., Seamless Loop, Courtesy Anna Ridler und Galerie Nagel Drexler Berlin / Köln / München

An das überladene Zeitalter des Barock wird vor allem durch ein Lackkabinett (ca. 1690-1700) aus England oder den Niederlanden erinnert. Unter Einfluss orientalischer Möbelstücke wurden solche Schränke auch in Europa angefertigt, um an Fürstenhöfen die teuren Sammlungen an Kuriositäten aufzubewahren. Die Blumendarstellung in diesem Beispiel weist auf die zeitgleichen Stillleben mit Vanitas-Anklängen hin.

Unbekannt (England oder Niederlande), Lackkabinett, ca. 1690-1700, Holz, lackiert und bemalt, Gestell: Lindenholz vergoldet, Salomon Stadel, Amsterdam
Unbekannt (England oder Niederlande), Lackkabinett, ca. 1690-1700, Holz, lackiert und bemalt, Gestell: Lindenholz vergoldet, Salomon Stadel, Amsterdam

Eine Glasvitrine an einer Seite vor der Wandtapete „Der Garten der Armida“ am Ende des Saales, die auf der Pariser Weltausstellung von 1855 präsentiert wurde, vereint mehrere, kostbare Art-Nouveau-Objekte und ihre Ausläufer im 20. Jahrhundert. Émile Gallé (1846-1904) und René Lalique (1860-1945) fehlen natürlich nicht bei dieser Auswahl, genausowenig wie der Goldschmied Lucien Gaillard (1861-1942) und die Manufaktur Frédéric Goldscheider (gegr. 1855). Unvergessen bleibt die Parfümflasche für Christian Dior (1956) von Hand geschnitten von Baccarat mit einem Aufsatz in Form eines goldenen Blumenornaments.

Baccarat, Parfümflasche für Christian Dior, 1956
Baccarat, Parfümflasche für Christian Dior, 1956

Ein Bühnenbild-Model aus der Uraufführung der Oper „Parsifal“ von Richard Wagner von 1882 in Bayreuth gewinnt in einem angrenzenden kleinen Raum durch die romantische Schönheit die Aufmerksamkeit von Besuchern. Das in Köln aufbewahrte Modell zeigt „Klingsors Zaubergarten“, in dem viele Gralsritter vor Parsifal von Blumenmädchen verführt wurden. Wagners Held widersteht jedoch und gelangt am Ende des Aktes in den Besitz des gesuchten, heiligen Speers.

Paul von Joukowsky (1845-1912), Entwurf / Max Brückner (1836-1919), Ausführung. Bühnenbild-Modell für "Klingsors Zaubergarten" der Uraufführung von Richard Wagners "Parsifal" in Bayreuth, 1882. Theaterwissenschaftliche Sammlung, Universität zu Köln.
Paul von Joukowsky (1845-1912), Entwurf / Max Brückner (1836-1919), Ausführung. Bühnenbild-Modell für „Klingsors Zaubergarten“ der Uraufführung von Richard Wagners „Parsifal“ in Bayreuth, 1882. Theaterwissenschaftliche Sammlung, Universität zu Köln.

Nicht unerwähnt darf in dem zweiten großen Ausstellungssaal, neben mehreren zeitgenössischen Arbeiten mit originellen und vor allem sozial-kritischen Anwendungen des Blumen-Motivs, die Bühne der Flower-Power-Bewegung des 20. Jahrhunderts. Zwischen einigen Kleidungsstücken, die damals Kult waren, überraschen durch ihre Frische ein Siebdruck von Andy Warhol (1928-1987) und eine periodisch leuchtende Metalskulptur von Otto Piene (1928-2014).

Der Parcours neigt sich dem Ende zu mit einer Arbeit der Künstlerin Kapwani Kiwanga (*1978), die auf das eingangs erwähnte Buch der Naturforscherin Maria Sibylla Merian (1647-1717) „Metamorphosis insectorum Surinamensium“ (1705) Bezug nimmt. „Die Marias“ sind abgewandelte Formen des Pfauenstrauchs, einer Blume, die in Indonesien als natürliches Abtreibungs- und Verhütungsmittel von versklavten Frauen genutzt wurde. Kiwanga inszeniert die Blume als Symbol des Widerstands von Frauen, die in der Kolonialzeit auch sexueller Gewalt ausgesetzt waren.

Kapwani Kiwanga (*1978), Die Marias, 2020, Papier, Holz, Farbe. Courtesy the artist and Goodman Gallery, Capetown, Johannesburg, London; Galerie Poggi, Paris; Galerie Tanja Wagner, Berlin.
Kapwani Kiwanga (*1978), Die Marias, 2020, Papier, Holz, Farbe. Courtesy the artist and Goodman Gallery, Capetown, Johannesburg, London; Galerie Poggi, Paris; Galerie Tanja Wagner, Berlin.

Abschluss der Ausstellung ist eine Installation der britischen Künstlerin Rebecca Louise Law unter dem Namen „Calyx“ (Blütenklech). Dafür haben Freiwillige mehr als 100 000 Blumen, die sonst weggeworfen worden wären, getrocknet und gebunden. Die hängenden Blumen bilden ein kleines Labyrinth mit mehreren Öffnungen, das man passieren kann. Es erinnert ein wenig an die Gartenkulissen des Barock, an Bühnenbilder mit regnenden Blumen ist aber zugleich ein zeitgenössisches, begehbares Kunstwerk getreu dem Prinzip der Nachhaltigkeit.

Rebecca Louise Law (*1980), Calyx (Blütenkelch), 2023.
Rebecca Louise Law (*1980), Calyx (Blütenkelch), 2023.

Die Ausstellung „Flowers Forever“ in der Kunsthalle München ist in jeder Hinsicht eine sehenswerte Schau und eine gute Überraschung. Unter Einfluss der gegenwärtigen, virtuellen Sinnesrausch-Räumen zu verschiedenen Themen der Kunst, die überall in Europa und Amerika entstehen, habe ich eher eine Ausstellung mit prächtigen analogen und digitalen Blumenarrangements und weniger Wissen erwartet. Das hat sich erfreulicher Weise nicht bestätigt. Bis Ende August 2023 kann man noch in der Münchner Kunsthalle eine gut dokumentierte und schön präsentierte Ausstellung besuchen und viele Informationen und viele inspirierende Eindrücke mitnehmen.

 

Kategorien
Allgemein Ausstellungen Influencer*innen Kunst Kunstgeschichte Museen Nicht verpassen Reise Trendsetter*in Unterwegs Wandel

Flowers Forever in der Kunsthalle München (1. Teil)

Nein, die Tulpen kommen nicht aus Holland! Die Tulpen kommen aus Persien, unweit des Kaspischen Meeres. Das zeigt eine der wahrscheinlich schönsten Weltkarten, die es überhaupt gibt und die man zur Zeit in der Ausstellung „Flowers Forever. Blumen in Kunst und Kultur“ in der Kunsthalle München sehen kann. Es ist eine Lithographie von Ned Seidler (1922-2007) von 1968, die gleich am Eingang in die Ausstellung hängt und für diese Kunstschau mit Zustimmung von National Geographic vergrößert und auf Stoff gedruckt wurde. Die Weltkarte zeigt die Herkunft von Blumen weltweit, unter anderem auch jene der heute sehr verbreiteten Tulpe.

Ned Seidler (1922-2007), Map showing the Origin of Flowers, 1968, Detail.
Ned Seidler (1922-2007), Map showing the Origin of Flowers, 1968, Detail.

Ein paar Schritt weiter sieht man auf einem Bild des 19. Jahrhunderts schon das in Europa vertraute Tulpenfeld in den Niederlanden, in einer Version mit weißen und gelben Blumen vor einer grünen Hecke. Eine an die Bauern von François Millet (1814-1875) erinnernde Frauengestalt inmitten des Feldes blickt  auf die jungen, prachtvollen Pflanzen, die bis zu den Knöcheln reichen. (George Hitchcock (1850-1913), In den Haarlemer Tulpen, ca. 1895, Öl auf Leinwand, Albertinum / Galerie Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden.)

Eine benachbarte Nahaufnahme lenkt die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die verborgene Sprache von Pflanzen. Anders als ursprünglich angenommen, sind Blumen nicht stumm. Es gibt eine Fülle von Reizen, durch die sie mit ihrer Umwelt kommunizieren. Eine kleine, blaue, fast unscheinbare Blume – das Lungenkraut – besitzt die Fähigkeit ihre Farbe von Rosa auf Blau zu ändern, sobald sie keinen Nektar mehr enthält. Damit sparen Insekten auf der Suche nach Nahrung wertvolle Zeit.

Jan Haft (*1967), Lungenkraut, 2019, Video, Farbe, kein Ton, 0,35 Min., Loop, nautilusfilm GmbH
Jan Haft (*1967), Lungenkraut, 2019, Video, Farbe, kein Ton, 0,35 Min., Loop, nautilusfilm GmbH

Der folgende kleine Raum der Ausstellung widmet sich der Allegorie. In der langen Geschichte der Kunst wurden Blumen oft mit schönen Frauen in Verbindung gebracht. Ganze Generationen von Künstlern widmeten sich dieser Gattung des Porträts, in der Schönheiten berühmter Königshöfe in die Rolle mythologischer Gestalten schlüpften. Heute noch strahlt die junge Marquise de Baglion (Angélique Louise-Sophie d’Allouville de Louville (1710-1756)) von einem Bild des berühmten Malers des Rokoko Jean-Marc Nattier (1685-1766) als zarte Flora in sanftem Abendlicht.

Jean-Marc Nattier (1685-1766), Die Marquise de Baglion als Flora, 1746, Öl auf Leinwand, Bayerische Staatsgemäldesammlungen München, Alte Pinakothek, Dauerleihgabe der Kunstsammlung HypoVereinsbank - Member of UniCredit
Jean-Marc Nattier (1685-1766), Die Marquise de Baglion als Flora, 1746, Öl auf Leinwand, Bayerische Staatsgemäldesammlungen München, Alte Pinakothek, Dauerleihgabe der Kunstsammlung HypoVereinsbank – Member of UniCredit

Die religiöse Kunst und die Botanik sind zwei Bereiche, denen die Ausstellung einige Exponate widmet, weil sie im Laufe der Zeit phantasievolle Kunstobjekte generiert haben. Der symbolische Gehalt von Blumendarstellungen einerseits und die genaue Kenntnis der Erscheinungsform in der Natur andererseits haben bekannte Werke in der Geschichte der Kunst entstehen lassen.

In der christlichen Religion tauchen Blumen vor allem in Verbindung mit dem Marienkult auf. Doch auch im Orient sind Gottheiten oft mit Blumen geschmückt und der im Westen verbreitete Orientteppich verweist mit seinen geblümten Mustern nicht selten auf das Millefleurs-Gebetsteppich und damit auf das Paradies.

Carlo Dolci (1616-1666), Madonna mit der Lilie, 1649, Öl auf Leinwand, Bayerische Staatsgemäldesammlungen München, Alte Pinakothek
Carlo Dolci (1616-1666), Madonna mit der Lilie, 1649, Öl auf Leinwand, Bayerische Staatsgemäldesammlungen München, Alte Pinakothek

Die Kuratoren der Ausstellung haben in dem der Botanik gewidmeten Teil Maria Sibylla Merian (1647-1717) nicht vergessen, der berühmten Zeichnerin des 17. Jahrhunderts von Flora und Fauna der nierderländischen Kolonie Surinam. Eine aufgeschlagene Seite aus dem zweibändigen Buch von 1679/1683 über Verwandlung und Nahrung von Schmetterlingen zeigt eine dicke Raupe am Fuße einer zarten Blume in Hellrosa. Unweit davon sind die botanischen Studien von Girolamo Pini (17. Jahrhundert) ausgestellt, die die Vielfalt an Pflanzen in den florentinischen Gärten der Medici-Familie dokumentieren.

Girolamo Pini (17. Jahrhundert), Botanische Studien, 1615, Öl auf Leinwand, Musée des Arts Décoratifs, Paris
Girolamo Pini (17. Jahrhundert), Botanische Studien, 1615, Öl auf Leinwand, Musée des Arts Décoratifs, Paris
Kategorien
Allgemein Autor*innen Bild und Abbild Collage Digitales Bild Europa Kunst Kunstgeschichte Kunsthistoriker*innen Museen Nicht verpassen Reise Unterwegs

Von Byzanz weg… / unterwegs (Serie)

An ein Praktikum in der nördlichen Moldau und der Bukowina nach dem vierten Semester Kunstgeschichte an der Bukarester Akademie der Kunst erinnere ich mich immer wieder gerne. Wir hatten die Aufgabe, die ikonographischen Programme der Malereien in den mittelalterlichen Kirchen zu verfolgen und Abweichungen zu interpretieren. Es war ein heißer Sommer und wir suchten alle relevanten Klosterkirchen mit Aussen- und Innengemälden auf. Damals lernte ich von der damaligen Professorin Corina Popa (*1942), dass es für Kunsthistoriker*innen keine verschlossenen Türen gibt, wenn es um Kunst geht.

Wir gingen entschieden in die Kirchen rein bis zum Altarraum, der in orthodoxen Ländern nur dem Priester vorbehalten ist und hielten uns dort auf, bis alle Heiligendarstellungen erschöpfend besprochen waren. Den entrüsteten Nonnen erörterten wir den Wert der Kunst und der Denkmale, der auf jeden Fall als der religiösen Nutzung übergeordnet zu sehen sei. Erst nachdem wir alles aufgezeichnet und vertieft hatten, verließen wir wieder die Räumlichkeiten unsicher darüber, ob wir selber unter Zeitdruck zum nächsten Denkmal eilten oder mehr oder minder verdeckt rausgeschmissen wurden.

Auf jeden Fall nahm ich die Überzeugung mit, dass ich vor verschlossenen Türen an Denkmalen keinen Halt machen muss. Und in meinen späteren Reisen durch Europa sah ich eigentlich alles, was ich sehen wollte, sei es dass der Schlüssel einer romanischen Kirche mittags bei einem schlafenden Küster war, sei es dass der Besuch einer Sehenswürdigkeit nur einer begrenzten Anzahl von Touristen gestattet wurde, oder dass in einem bestimmten Raum gerade getagt, gefeiert oder gebetet wurde.

In einem Sommer in den 1990er Jahren des 20. Jahrhunderts war ich in einem Urlaub auf der Chalkidiki. Ich nahm das als Anlass auch Thessaloniki zu besuchen und da die byzantinischen Kirchen. Seit einer Reise in meiner Kindheit war ich in dem Griechenland meiner Großeltern nicht mehr gewesen und vieles wusste ich nicht mehr. An der Osios David, der Kirche des ehemaligen Latomos-Klosters – seit 1988 Teil des UNESCO-Welterbes – war der Pförtner unwillig uns, wenigen Touristen, die Tür zu öffnen. Es war Mittag, es war heiß, er setzte sich auf einer Bank vor dem Eingang in der Kirche und machte keine Anstalten die Kirche jemals öffnen zu wollen. Nach einiger Wartezeit, in der sich niemand und nichts bewegte, sammelte ich meine Erinnerungen der griechischen Sprache zusammen – „Du kannst das, was die Griechen vergessen haben“, pflegte mein Großvater zu sagen -, und bat ihn in seiner Sprache, uns den Raum zu öffnen. Tatsächlich leuchtete sein Blick auf, er erhob sich, holte die Schlüssel aus der Tasche und öffnete mit einer breiten Geste die Tür. Ich wusste, dass ich so schnell nicht wieder jene Orte besuchen würde und ich war froh, damals diese einmalige und sehr frühe Darstellung in Mosaik des bartlosen Christus zu bewundern. Was ich denn dem Pförtner geflüstert hätte, wollte ein westlicher Tourist wissen, der sich über den Wandel in der Gesinnung des Gastgebers wunderte. „Ich weiß es nicht“, antwortete ich, „aber es war wohl richtig.“

Den Rest des Urlaubs verbrachte ich auf Sithonia und träumte davon Athos besichtigen zu können. Am Strand schmiedete ich Pläne, in denen ich als Mann verkleidet vom Meer aus die Halbinsel erreichen würde. Dann würde ich mich von Kloster zur Einsiedlung und zum Stift schleichen und jene Kunstwerke betrachten, die Athos niemals verlassen haben. Ich frage mich, ob es heute möglich ist, mit der neuen Technologie, mittels einer Kamera an einer Live-Reise für alle, die Athos nicht betreten dürfen, teilzunehmen? Ob Athos Internet kennt? Dann könnten vielleicht  Kunsthistoriker von calaios.eu einmal hinfahren und für uns die Türen öffnen. Damals gab ich mich am letzten Tag meines Aufenthalts in Thessaoniki zufrieden mit dem Besuch der ersten Ausstellung in Griechenland, in der die „Schätze vom Berg Athos“ (1997) einer breiten Öffentlichkeit gezeigt wurden.

Der festen Gläubigkeit hingegen fielen nach der Wende in Rumänien einige Denkmäler zum Opfer. In so manchen Gegenden trugen die Bewohner alte Kirchen ab und ließen neue und „schöne“ an ihrer Stelle errichten. Ich war bereits im Westen, hörte hin und wieder von den verzweifelten Aufrufen von Kunst- und Kulturschaffenden vor Ort und konnte die Ereignisse nicht einmal mehr verfolgen. Ein anderer, anstrengender Alltag nahm mich mit in ein anderes Leben, weg von Byzanz. Das Los der Denkmale aber ist jener, anderer Werke der Menschheit ähnlich. Einiges bleibt erhalten, anderes wird zerstört, wenige werden gerettet, die meisten vergessen, umgebaut, dem Erdboden gleich gemacht. Für Kunsthistoriker bleiben Bruchstücke, Erinnerungen, Fragmente schriftlicher oder materieller Zeugnisse, Spolien und Palimpseste, aus denen eine vergangene Zeit mehr oder weniger realitätsgetreu  nachgezeichnet wird.

 

Kategorien
Allgemein Antike Bild und Abbild Collage Denkmale Europa Kunst Kunstgeschichte Museen Nicht verpassen Reise Unterwegs

Im Schaezlerpalais / unterwegs (Serie)

Die Kerzen sind erloschen, die Spiegel verbreiten kein warmes Licht mehr in den Raum. Das Festsaal des Schaezlerpalais‘ ist im kalten Licht des anbrechenden Morgens getaucht, der Ball ist lange zu Ende, aber der Duft von Puder und Echt Kölnisch Wasser liegt noch in der Luft. Das aus Ölen von Zitrone, Orange, Bergamotte, Mandarine, Limette und Zeder in Köln entwickelte Parfüm ist schon einige Jahre auf dem Markt und auch nach dem Tod seines italienischen Erfinders, Johann Maria Farina (1685-1766), überall sehr beliebt. Die eine Tür zum Saal fällt ins Schloss und man hört die gleichmäßigen Schritte des Dieners, der sich durch die anschließende Enfilade entfernt. Es ist der Morgen des 29. April 1770 und der große Raum wird der Stille überlassen.

Am Tag zuvor besuchte die Erzherzogin Maria Antonia von Österreich (1755-1793) das neue Stadtpalais des Barons Benedikt Adam Freiherr von Liebert, Edler von Liebenhofen (1731-1810) und weihte den Festraum mit einem Ball ein. Die spätere Marie Antoinette machte auf ihrer Brautreise nach Frankreich in Augsburg Station und sollte ursprünglich in dem Rokokopalast übernachten. Nach Plänen des Münchner Hofbaumeisters Karl Albert von Lespilliez (1723-1796) wurde das Gebäude im Oktober 1765 begonnen und befand sich im Frühjahr 1770 in der letzten Bauphase. Nach verschiedenen Absprachen wurde entschieden, dass die Erzherzogin in der fürstbischöflichen Pfalz wohnen würde, was weitere diplomatische Verhandlungen nach sich zog. Schließlich „erging der Beschluss, die Dauphine würde sein (Lieberts, m.A.) Haus besuchen und den Saal mit einem Ball einweihen.“ (Vgl.: Kommer B.R., Das Schaezlerpalais in Augsburg. München u.a. 2003, S. 16.)

Über 400 Kerzen sollen den Raum erleuchtet haben, die Prinzessin ließ sich auf einem großen Sessel (das einzige Sitzmöbel) vor dem hinteren Kamin nieder. Ein Orchester aus über 24 Mitglieder soll musiziert, Maria Antonia soll fünf bis sechs Tänze mit Kavalieren ihrer Suite getanzt haben. Nach einer Stunde zog sie sich zurück, das Fest ging aber noch eine Stunde weiter. „Vielleicht lag das an den reichlich angebotenen Erfrischungen: Die ganze Zeit über ließ von Liebert Tee, Kaffee, Punsch, Mandelmilch, Bavaroise und Konfekt reichen, Lieferungen der k.u.k. Hof-Konditorei. (Vgl. Kommer 2003, S. 12-13.)

Der Blick des in einer Rüsche des Sessels vergessenen Gastes folgt, wie oben gesagt, am Morgen des Folgetages dem Duft des Parfüms und bleibt an dem großen Deckengemälde haften. Es ist ein Porträt in Miniatur des französischen Pastellmalers Joseph Vivien (1657-1734) von Joseph Ferdinand von Bayern (1692-1699), dem früh verstorbenen Sohn von Maria Antonia von Österreich (1669-1692) und Maximilian II. Emanuel von Bayern (1662-1726). Das kleine Bildnis Joseph Ferdinands, der einst nach Wunsch seines Vaters die Nachfolge der spanischen Monarchie antreten sollte, zierte eine Puderdose aus Schildpatt, die sich im Nachlass Max II. Emanuels befand und auf Umwegen in den Besitz seiner Großnichte, der Erzherzogin Maria Antonia, gelang. Gut möglich, dass die erschöpfte Prinzessin, nach dem Tanz eines Menuetts, das Schmuckstück im Augsburger Palais unachtsam fallen ließ.

Auf jeden Fall blickte nun das Abbild des kleinen Prinzen aus seiner goldenen Einfassung auf das Deckengemälde mit Merkur und dem Welthandel, das 1767 der italienische Freskenmaler Gregorio Guglielmi (1714-1773) gestaltete. Es hatte in seiner Reise durch europäische Höfe schon verschiedene Kunstwerke gesehen, nicht zuletzt das Portrait seiner Großmutter mütterlicherseits, Margarita Theresa von Österreich, Infantin von Spanien (1651-1673), im Alter von fünf Jahren in dem Gemälde „Las Meninas“ (1656) von Diego Velázquez (1599-1660). Es erinnerte sich an den Spiegel und an den Durchgang im Gemälde, an den Prunk und dem Gefolge der Infantin und selbst an das Selbstbildnis des Malers.

Der Blick des Kindes aus dem Miniaturbild suchte die Gestalten auf der Decke ab, in der Hoffnung einem versteckten Bildnis des Malers zu begegnen. Gregorio Guglielmi hatte sich aber in dem Festsaal des Schaezlerpalais‘ nicht verewigt. Der Junge kannte seine Art zu malen schon von dem Deckengemälde der Großen Galerie in Schloss Schönbrunn. Er hatte ihn auch am Tag zuvor in einem Stich von vor zwei Jahren 1768 gesehen. Der Stich, der in Augsburg entstand und anlässlich der Feierlichkeiten um die Einweihung des Stadtpalastes in Umlauf war, zeigte Guglielmi nach einem Selbstbildnis  mit Perücke, seidener Haarschleife und Spitzenhalstuch auf der Höhe seiner Karriere. „Peintre en Histoires tres Celebres, nè à Rome Le 13. Decembre 1714“, stand unter dem ovalen, schmucklosen Ausschnitt. (Bildquelle: wikipedia, Beitrag über Gregorio Guglielmi, deutsch, RP-P-1907-1390, 26.02.’23.)

 Im Haus des Barons von Liebert hatte der italienische Maler eine Weltreise um die vier Erdteile imaginiert (Australien erst seit 1770 in Europa bekannt). Europa, umgeben von Afrika, Amerika und Asien legten unter dem Zauberstab des Merkur ihren Reichtum aus und glänzten um die Wette in prunkvoller Ausstattung.  Eine spätere Beschreibung des Freskos lohnt für uns die Aufmerksamkeit, weil sie ins Detail geht und der Pracht der Darstellung gerecht wird:

„Auf Wolken thront eine Frau, Europa, in weitem, weißen, goldgesäumten Gewand. Eine breite, goldene Schärpe läuft über ihre linke Schulter. Im Haar trät sie ein Diadem aus Lorbeerzweigen, über ihr schwebt ein Putto und hält einen Kranz aus zehn Sternen über sie. Mit ihrer Linken fasst Europa ein Szepter und einen Reichsapfel aus Gold, mit der ausgestreckten Rechten weist sie auf ein teilweise von einem blassroten Tuch überdecktes Arrangement aus Gesetzestafeln, Büchern, einem Himmelsglobus und Attributen der Künste (Musik, Architektur, Malerei). Darauf sitzt ein nackter Putto stützt eine Tafel, schultert ein Liktorenbündel und blickt zu seiner Herrin. Zwischen den beiden werden schemenhaft noch zwei Putti sichtbar. Die Szenerie belebt eine weitere Gestalt: Eine geflügelte, posaunenblasende Frau in lilafarbenem Lendentuch und hellblauem Mantel stürzt nach unten: Fama, lorbeerbekränzt, verkündet den Ruhm Europas und gewiss auch des Hauserbauers, Empfängers von Orden und Ehrenmedaille in ihrer ausgestreckten rechten Hand.

Rechts von Europa erblickt man zwei nackte, blonde Putti – einer wendet sich um und greift in die zur Seite wehende Schleppe seiner Herrin -, dann einen unbekleideten alten, weißhaarigen Mann mit Bart und Flügeln. Er lagert, sich abstützend, auf einem großen, gelben Tuch und betrachtet ein aufgeschlagenes Buch: Chronos, Gott der Zeit, liest Datum (1767) und Signatur (Guglielmi pinx(it)) des Schöpfers des Deckenbildes. Neben ihm, noch auf dem Tuch, erkennt man Fahnen, Waffen, einen Helm, eine Kanone, die Instrumente, mit denen die Beherrscherin der Welt den Frieden erhält oder wiederherstellt, reichen Recht, Gesetze, Ordnung allein nicht aus. 

Europas Regiment lässt buchstäblich Blumen erblühen, Früchte reifen (zu Füßen des Chronos), Wohlstand wachsen. Diesen auszuteilen, schwebt Merkur herab. Flügel an den Füßen, Flügelhut und Heroldsstab kennzeichnen ihn als Boten und Handelsgott. Er trägt nur ein lila Lendentuch. Den dekorativen grünen Mantel lässt er in seiner Eile flatternd hinter sich. Locker umfasst er das Füllhorn; ein Strom von Goldmünzen ergießt sich daraus.

Der vom Handel erwirtschaftete Reichtum stammt aus der ganzen Welt. Deshalb umgeben die drei anderen Erdteile Europa. Wendet man sich der hinten sich entfaltenden Szenerie zu, erkennt man rechts Asien.

Zentralgestalt ist eine über dunklem Gewölk auf rotsamtenem, spitzenbesetzten Polster mi gekreuzten Beinen sitzende Frau – kokett schaut ein spitzer Schuh hervor. Sie trägt über einem weißen Hemd ein tief dekolletiertes gelbes Gewand, das eine Brust frei lässt, und eine betresste, pelzgesäumte, kurzärmelige rosa Jacke. Ein blauer Mantel mit Goldornamenten umwallt sie majestätisch, auf dem Haupt sitzt ein phantastischer fezartiger Kopfputz, geschmückt mit edelsteinbesetztem Kronreif, Perlen, Bändern, juwelenbestückter Agraffe und goldener Mondsichel. In ihrer ausgestreckten rechten Hand – am Gelenk prangt ein doppeltes Perlband – bündelt sie vier Kronen und zwei Szepter: Asia tritt als orientalische Herrscherin auf, vielleicht als Personifikation des Osmanischen Reiches.

Rechts assistieren zwei prächtig ausstaffierte Hofdamen, die eine mit einem Pfauenwedel, die andere eine Perlenkette präsentierend. Von der anderen Seite kommt ein Kamelreiter in brauner Tracht und Mutze mit einem Zuckerrohrbündel im Arm herbei. Tief vom Sattel herunter wallt ein blauweiß gestreiftes Seidentuch. Er ist nicht allein, sondern begleitet von einer schwarzhäutigen Person mit Goldschmuck im Haar. Zu sehen ist nur der Kopf.

Zwei Sitzfiguren runden die Komposition ab. Die rechte, mit unbekleidetem Oberkörper, sonst in ein braunrotes Tuch gehüllt, hält eine blaue (Porzellan?)Vase im Schoß. Die streng nach hinten gekämmte Frisur charakterisiert sie als Chinesin. Die zweite, auf einem braunen Tuch sitzend und sich auf ein umgestürztes Gefäß stützend, aus dem Wasser fließt, ist ein nackter Mann mit dunklem Teint. Er mag Indien verkörpern und insbesondere den Gangesfluss. Zur Betonung der Exotik kriecht unten unter dem Wasserstrom ein Krokodil über einen spärlich bewachsenen Hügel.

Links von Asien, kaum davon getrennt, folg auf derselben Wolkenbank die Darstellung Afrikas. Wichtigste Figur ist eine sitzende schwarze Dame. Sie trägt nur einen weißen Rock mit breiter Goldborte und edelsteinbesetztem Fürtel, wird aber lose von einer ins Lila changierenden Draperie umhüllt. Kokett streckt sie ihr gewinkeltes linkes Bein vor und lässt die goldene Sandale mit Schnüren sehen. Auch sonst demonstriert sie ihre herrscherliche Stellung: Am ausgestreckten linken Arm, mit dem sie auf ein kauerndes Leopardenpaar zeigt, prangt oben ein breiter Goldreif. Außerdem trägt sie Perlenohrringe und einen edelsteingeschmückten Kronreif mit Federschmuck.

Ein auf dem Boden liegender geöffneter Fächer und ein zweiter geschlossener verweisen auf das heiße Klima des schwarzen Kontinents. Deshalb ist Schutz vor der Sonne nötig. Ihn bietet ein großer gelber Schirm mit weißer Unterseite, hängenden Lambrquins und krönenden Straußenfedern. Lässig umfasst ihn die afrikanische Königin, ist er doch gleichzeitig Hoheitszeichen. Natürlich gebietet sie über Gefolge. Zu ihm gehört ein Krieger, der, gehüllt in ein Fell, mit eingelegtem Speer zwei Strauße jagt. Ziel sind die geschätzten Federn. Den weiblichen Part übernimmt eine als Rückenakt gegebene sitzende Frau. Eine Goldkette und Federn im Haar zeichnen sie aus. Effektvoll vor einer grünen Draperie postiert, besieht sie einen Elefantenstoßzahn (=Elfenbein), kostbar wie Gold.

Um Amerika zu betrachten, muss man sich umwenden. Die Komposition zum Thema Neue Welt beansprucht den vorderen, östlichen Freskoabschnitt. Die Szenerie entwickelt sich über zwei Bögen in einer mit Bäumen und Büschen bewachsenen Felsenlandschaft. Auf dem kargen vorderen Felsen oder Erdhaufen ist ein nur spärlich mit einem Lendentuch bekleideter Goldgräber postiert. In der Rechten präsentiert er einen großen Goldklumpen, mit der ausgestreckten Linken stützt er sich auf eine Spitzhacke. Vor ihm liegt eine Schaufel, links erblickt man zwei weitere, nicht näher zu identifizierende Geräte.

Die größere, in verschiedenen Grautönen gehaltene Felsformation ist Sitz eines indianischen Damentrios. Am wichtigsten ist die barbusige Kriegerin neben dem aufragenden Baum. Ein blauer Mantel ümhüllt sie so lose, dass ein weißes Röckchen sichtbar wird. Demonstrativ hält die Idianerin in der Rechten einen Bogen, links stützt sie sich ab. Auf dem Rücken trägt sie den wohlgefüllten Köcher – das Band läuft quer über die Brust -, auf dem Kopf einen Federschmuck über goldenem Reif. Während sie nach rechts ins Ungewisse blickt, sehen die Begleiterinnen zu ihr auf.

Bevor der Fels jäh ins Wasser abstürzt, findet sich noch Platz für einen nackten Meergott vor dunkler, knapper Draperie. Aufgeschreckt fliegen zwei Kraniche über ihm auf. Neben einem Wasserfall posierend, wendet sich der weißhaarige und -börtige Herrscher des Ozeans zur Seide der indianischen Königin, doch ohne sie anzublicken. Zum Zeichen seiner Würde trägt er die goldene Zackenkrone, in seiner Linken den Dreizack. Rechts präsentiert er Muscheln wie ein Geschenk. Korallen, Perlen, ganze Ketten quellen heraus. Neptuns Gaben sind für das ankernde Segelschiff bestimmt. Hoch ragt das Achterkastell mit dem von Löwen gehaltenen Midici-Schild auf, wohl eher eine Huldigung an Maria Theresia, Großherzogin-Witwe der Toskana, und an den Sohn Leopold, regierenden Fürsten, als ein Hinweis auf den Florentiner und Nabensgeber des Kontinents, Amerigo Vespucci. Fahne und Laterne sind über dem Wappen aufgesteckt.

Ein rauchender Matrose sitzt auf einem herabwehenden, gestreiften Tuch. Seine Arbeit wird bald beginnen, noch sind auf die Schiffssegel eingerollt. Vielleicht ist das Ziel Livorno, wichtigster Ein- und Ausfuhrhafen der Toskana für Edelmetalle, einer der Orte, wo von Liebert in habsburgischem Interesse gewinnbringenden Silberhandel betrieb.“ (Vgl. Kommer 2003, S. 62-68.)

Ein kräftiger Windstoß ließ im leeren Festsaal die Falten des Seidentuchs auf dem Sessel flattern. Die Puderdose fiel mit leichtem, hellem Geräusch aufs Parkett. Die Eingangstür öffnete sich, ein Diener ging schnellen Schrittes durch den Raum und schloss die Fenster. Er hob die Dose auf und verschwand wieder hinter der mit schwerem Samt behangenen Tür. Es heißt, die Puderdose sei an Maria Antonia zurückgegeben worden, die gleich am Morgen des 29. April 1770 ihren Verlust beklagte. Nach der Französischen Revolution (1789) oder während ihrer Wirren kam das kostbare Objekt in eines der Museen Frankreichs und ist in den Sammlungen unter gegangen. Vielleicht ruht es in einem der Depots aber vielleicht ist es auch irgendwo ausgestellt. Um das herauszufinden, muss man natürlich nach Frankreich reisen.

Kategorien
Allgemein Autor*innen Digitales Bild Influencer*innen Konferenz Kunsthistoriker*innen Museen Nicht verpassen Tagung Trendsetter*in Verbände Vortrag Wandel

In Erwartung wichtiger Treffen im digitalen Raum, nicht verpassen (III.)

Nachdem die internationale Online-Konferenz des Wiener Belvederemuseums „Das Kunstmuseum im digitalen Zeitalter“ (vom 17. zum 21. Januar 2022) erfolgreich – siehe #belvederemuseum und #digitalmuseum – zu Ende gegangen ist, fiebert die Community der Kunsthistoriker*innen den nächsten virtuellen Ereignissen entgegen.  In Erwartung der angekündigten Keynotes auf der Internetseite des Museums für all jene, die das Treffen verpasst haben oder nachhören wollen, bereitet man sich auf Twitter schon auf die nächsten Hashtags – wie #AgileKultur,  #neueRelevanz, #museenderzukunft und #kupoge2022, außerdem auf die Veranstaltungen #dhd2022 und #arthistoCamp beziehungsweise #kht2022 im März 2022 vor.

 

Am Donnerstag, den 10. Februar 2022 von 16:00 h bis 18:00 h findet die digitale Release-Veranstaltung zum jüngst erschienen Sammelband „Die Museen der Zukunft. Trends und Herausforderungen eines innovationsorientierten Kulturmanagements“ statt. Zur Veranstaltung laden die Organisatoren – der Landesverband der Museen zu Berlin (@lmb_berlin), die Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. (@kupoge) und das Netzwerk „Agile Kultur“(@agilekultur) unter diesem Link ein, eine erste Rezension schrieb bereits am 5. Januar @kulturtussi in dem bekannten Blog ankevonheyl.de unter der Kategorie „Digitalisierung“. Ende Januar 2022 waren – wie hier von @Zukunftsmelder berichtet – bereits 400 Teilnehmer angemeldet, die das Treffen mit dem Herausgeber, Henning Mohr, den Autor*innen (darunter Patrick S. Föhl, Anna Greve, Daniel Neugebauer und Ivana Scharf) und dem Moderator @MZierold erwarten.

 

Keine fünf Tage später, am Valentinstag, Montag, den 14. Februar 2022, von 18:30 h bis 20:00 h, treffen die Autor*innen und Herausgeber*innen des ersten Bandes – „Agilität in der Kultur“ – der dreiteiligen Publikationsreihe – „Kultur in Bewegung. Agilität – Digitalität – Diversität“ – zu einer Diskussionsveranstaltung im Internet zusammen. Die Neuerscheinung der LWL-Kultur (Kulturnetz des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe) wurde zusammen mit der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. und dem Netzwerk Agile Kultur veröffentlicht, von der LWL-Kulturstiftung gefördert und kann kostenlos als PDF heruntergeladen werden. Neben dem Programm der relativ kurzen Release-Veranstaltung „Agile Kultur“ gibt es auch den Button zur Anmeldung hier.

 

Vom 7. zum 11. März 2022 findet unter der Überschrift „Kulturen des digitalen Gedächtnisses“ online die 8. Jahrestagung des Verbands „Digital Humanities im deutschsprachigen Raum“ statt, ausgerichtet von @unipotsdam und @fhpotsdam mit @dh_potsdam. Vor einem Jahr als Präsenzveranstaltung angekündigt, findet das Treffen pademiebedingt doch ausschließlich virtuell statt. Die Anmeldung zur @Dhd2022 kann hier vorgenommen werden, das Programm mit allen Workshops, Vorträgen, Panels und Posters befindet sich hier. Neben vielen Sitzungen zu digitalen Archiv- und Kunstsammlungen weise ich auf den Donnerstag, den 10. März, hin,  wenn der Vormittag unter anderem der digitalen Kunstgeschichte, speziell für die Vorstellung der und Diskussion zur Suchmaschine iART reserviert ist.

 

Der XXXVI. Kunsthistorikertag wurde auf Twitter von @wpippich recht verhalten angekündigt, doch darf der Sachverhalt nicht über die Reichweite der Veranstaltung hinwegtäuschen. Unter dem Titel „Form Fragen“ wird er zwischen dem 23. und dem 27. März mit wie üblich reichem Angebot analog in Stuttgart stattfinden. Der Arbeitskreis Digitale Kunstgeschichte (#DigitaleKunstgeschichte), der am 2. Februar 2022 sein 10jähriges Jubiläum feierte, organisiert am Dienstag, den 22. März 2022 von 10:00 h bis 16:00 h einen #arthistoCamp als virtuelle Vorkonferenz zur Tagung. Über den Ticketshop des #kht2022 kann man sich in Kürze dafür kostenlos anmelden. Das Treffen mit dem dazugehörigem Hashtag wurde Anfang Februar bei Twitter von Harald Klinke signalisiert.

Kategorien
Allgemein Ausstellungen Bild und Abbild Denkmale Influencer*innen Museen Nicht verpassen Podcast Trendsetter*in Wandel

DigAMus-Award 2021: Die Podcasts (II)

Eine der inhaltlich und formal besten Podcast-Folge des diesjährigen DigAMus-Award ist zweifelsfrei jene der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, der Alten und Neuen Pinakothek in der Reihe „Think & Talk“. Sie ist auf der Seite der Pinakotheken sehr einfach über die entsprechende Zeile am linken Rand zu finden. Die Podcasts erscheinen dann sehr übersichtlich auf der gleichnamigen Seite der Reihe und sind übrigens auch auf Apple Podcast, Spotify und Deezer abrufbar. Die Episoden sind unterschiedlich lang (zwischen fünf und zehn Minuten) und widmen sich jeweils einem Kunstwerk oder einem Aspekt in wenigen Gemälden. Die technische Qualität ist ausgezeichnet, was bei den zum Preis eingereichten Beiträgen leider nicht immer der Fall ist.

 

Mit einem Videopodcast über 33 Folgen bewarb sich das Richard-Wagner-Museum in Bayreuth mit dem „Coronamuseum“, ein digitales Angebot des Hauses seit Frühjahr 2020. Darin werden ausgewählte Exponate und Räume des Museums vorgestellt. Eine weitere Folge reichte der Museumsdirektor Dr. Sven Friedrich zu der Sonderausstellung „rosalie und wagner. licht – mythos – material“ nach. Die Episoden des Videopodcasts sind fünf bis zehn Minuten lang und auf facebook eingebettet. Über die Seite, die das Museum Richard Wagner einleitet, können die Folgen abgerufen, gesehen und gehört werden.

 

Den Podcast „UNSERE MeeresWELTEN“ erstellte das Deutsche Meeresmuseum Stralsund, das über die Seite der Stiftung Deutsches Meeresmuseum erreichbar ist. Darin plaudern Luise und Ria in Episoden bis zu 10 Minuten zu verschiedenen Exponaten der Dauerausstellung an den vier Standorten des Museums: Meeresmuseum, Ozeaneum, Natureum, Nautineum. Es geht um Nachwuchs im Meer, um tierische Täuschungsmanöver, um Erfindungen und Liebschaften der Meeresbewohner. Kurze Texte und Bilder auf der Webseite leiten zu den akustischen Folgen des Podcast.

 

Das Georg Kolbe Museum in Berlin reichte eines der schönsten Podcasts unter der Titel „Die absoluten Täzerinnen“. Die Podcastfolge ist als Begleitung zur Ausstellung „Der absolute Tanz“ entstanden und hat elf Episoden für jeweils elf Tänzerinnen aus der Weimarer Republik. Das gesamte Museumsteam war Autor bei der Ausarbeitung der Folgen, die um die 15 Minuten dauern. Sicher fehlen bei diesem Podcast die Bilder fast schmerzlich, doch gibt es mit sehr guten Beschreibungen während des Ablaufs der Epidsode und mit der musikalischen Untermalung einen Ausgleich. Die Podcastfolgen kann man über die Webseite des Museums abrufen unter dem Titel der Ausstellung in der Rückschau.

 

Das Badische Landesmuseum in Karlsruhe hat an dem Award 2021 mit einem Podcast „Is ja’n Ding! Geschichten für Kinder“ teilgenommen. Er ist Teil der Reihe „KiMO – Kinder im Museum Online“ und von der Seite des Museums unter dem Menüpunkt „Museum digital“ erreichbar. Gewinnend auch für Erwachsene ist die Idee, Exponate aus dem Museum sprechen zu lassen. Manche stellen sich ausführlich vor, andere sind miteinander im Gespräch, man hat nach einer Zeit den Eindruck, dass sich in dem Museum alles bewegt, alles ein Leben hat.

 

Ein Podcast ohne Webseite ist über die Seite podigee.io unter dem Namen hoesch150 zu finden. Ein Podcast zum Jubiläum der Westfalenhütte Dortmund von den Journalisten Kay Bandermann und Till Krause entworfen worden. Es geht um das Unternehmen „Hoesch“, ein Stahlkonzern, das nicht mehr existiert, die Stadt aber sehr geprägt hat. Die Folgen sind rund eine Stunde lang, haben eine gute akustische Qualität und es gibt die Option, sie zu abonnieren und zu kommentieren, d.h. in Interaktion mit den Autoren zu treten. Die ehemaligen Arbeiter*innen kommen zu Wort und die vielseitige Geschichte des Konzerns wird scheinbar mit Leichtigkeit aufgerollt.

 

Der Gewinner des diesjährigen DigAMus-Awards war der Podcast „Der Äthiopische Mantel“ der Meraner Villa Freischütz. Er entstand als Begleitung zur gleichnamigen Ausstellung in diesem Euregio-Museumsjahr und ist über die Internetseite des Museums zu hören und zu lesen. Zu dem 35minütigen Hörspiel gibt es ein Transkript (dessen Übersetzung in mehreren Sprachen angekündigt wurde) und nicht nur der Mantel sondern auch seine koloniale Geschichte und seine Erschließung hat etwas von einer spannenden Bühnenaufführung. Es ist auch deshalb nicht verwunderlich, dass der Beitrag von der Jury des DigAMus-Awards mit einem Preis in der Kategorie „Podcast“ ausgezeichnet wurde.

 

Der letzte Beitrag auf der Liste des Awards war in diesem Jahr ein Podcast zur Stadtgeschichte Stuttgarts, der von der Webseite des Stadt Palais Stuttgart (Mediathek) erreichbar ist. Die Historiker Prof. Wolfram Pyta von der Universität Stuttgart und Dr. Torben Giese, Direktor des Stadt Palais‘ sprechen mit Gästen in rund 50minütigen Episoden über die Geschichte der Stadt von der Vor- und Frühgeschichte bis zur Gegenwart. Der Besuch der Dauerausstellung gleichen Namens im Museum ist nach diesen Hörproben fast ein Muss für jeden Besucher der Stadt.

 

Die Einreichungen beim DigAMus-Award 2021 zeigen bei weitem nicht die ganze Palette auf, der Podcasts, die Museen während der Corona-Zeit erarbeitet haben. Es gibt sicherlich noch viele interessante Beispiele in den Museen, die kandidiert, wie in jenen, die sich in diesem Jahr nicht angemeldet haben. Das schönste daran ist die Vielfalt der Formate, die auf jede Geschichte und auf jede Sammlung anders zugeschnitten sind. Das größte Problem ist, wie mir jetzt scheint, diese Angebote im Internet zu finden. Wenn man von den Kunst- und Kultur-Podcasts nicht weiß, sind sie in vielen Fällen für potentielle Nutzer leider unsichtbar.

Kategorien
Allgemein Ausstellungen Autor*innen Bild und Abbild Denkmale Digitales Bild Influencer*innen Kunsthistoriker*innen Nicht verpassen Trendsetter*in Wandel

Das Piranesi-Prinzip: Eine zeitlose Ausstellung im Internet

Im Schatten der Corona-Pandemie fand vom 04. Oktober 2020 bis zum 07. Juli 2021 in der Berliner Kunstbibliothek eine Ausstellung zum 300. Geburtstag von Giovanni Battista Piranesi (1720-1778) statt, die gemeinsam von Studierenden, Kurator*innen und Forscher*innen der Kunstbibliothek und dem Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt Universität zu Berlin konzipiert wurde und in Kurzfassung bei Google Arts & Culture auch nach dem Event besichtigt werden kann. Es ist an sich nichts Außergewöhnliches, zum runden Geburtstag eines berühmten Architekten, eine Ausstellung mit Exponaten aus dem Bestand einer Kunstsammlung auszurichten, doch griff die hier thematisierte Schau über dieses Vorhaben hinaus. Das liegt nicht allein an der komplexen Persönlichkeit Piranesis, der Archäologe, Künstler, Architekt, Sammler, Designer, Verleger und Autor in einem war, sondern vielmehr an dem Konzept der Ausstellung, die sich nicht zuletzt als Hommage an eine geschichtsträchtige Stadt wie die Stadt Rom präsentierte.

 

Das Piranesi-Prinzip besteht nicht allein in den mannigfaltigen Entwürfen von Architektur, die bei diesem italienischen Meister des späten Barock unterschiedliche Bereiche – wie Design (Kaminentwürfe), Theaterkulissen (Bühnenentwürfe und Gruselkabinette), Veduten (Denkmal- und Stadtansichten) und Urbanistik (Rekonstruktion von alten Stadtteilen) – abdeckt, sondern und vor allem in der Verwertung und in der Aufwertung von Althergebrachtem, von Ruinen, Fragmenten von Statuen, überwuchernder Natur, von Mauerresten bis hin zu verbrauchtem und vergilbtem Papier. Im Werk dieses Künstlers, der sich dem Verfall einer Stadt verschrieben hat, scheint der antike Ruhm Roms erstrecht aufzublühen und der unverwechselbare Charme der neuzeitlichen Metropole zu liegen. Die kraftvolle Zeichnung des Meisters ist nicht nur Ausdrucksmittel eigener Persönlichkeit, sondern auch der Schönheit einer Architektur, die in ihrer ständigen Verwandlung lebendig bleibt.

 

Betrachtet man die Rekonstruktion des Circus Maximus in Rom sieht die Architektur wie eine Traumkulisse aus, die wann immer auf- und abgebaut werden kann. In den Entwürfen ist dieser Aspekt der potentiellen Abänderung oder der Metamorphose von Architekturelementen noch deutlicher. Wiederholte, sich schlängelnde oder sich verlaufende Linien heben die Formen aus der zweidimensionalen Fläche des Papiers hervor und suggerieren zugleich einen möglichen, anderen Verlauf und somit nicht ausgeführte aber im Blick des Betrachters entstehende, potentiell neue Anordnungen. Der/Die damalige Besucher*in von Piranesis Werkstatt und Sammlung und der/die heutige Nutzer*in des digitalen Angebots kamen und kommen mit Sicherheit ohne technischen Hilfsmittel zur Interaktion mit den Bildern. Es gibt viel Raum, um die Kulissen nach eigenem Geschmack in der Vorstellung zu ergänzen, denn man wird von diesem Meister der optischen und geistigen Verführung an jedem Detail der Zeichnung abgeholt.

 

Eine auf jeden Fall zu empfehlende Ausstellung im Internet, bestimmt auch mit aufschlussreichem, anschließendem Besuch der Bestände der Kunstbibliothek in Berlin.

Kategorien
Allgemein Ausstellungen Autor*innen Bild und Abbild Denkmale Kunsthistoriker*innen Museen Nicht verpassen Trendsetter*in

Der Leiermann – ein Kulturvermittlungsprojekt aus Österreich

In diesen Tagen kommt wohl kein*e Kunstliebhaber*in und kein*e Kunsthistoriker*in an dem Maler Johannes Vermeer (1632-1675) vorbei. Die Sensation um sein Bild des Liebesgottes mit Bogen, Pfeilen und zwei Masken in dem Bild des „Brieflesenden Mädchens am offenen Fenster“ (1657-1659) zieht weltweit das Publikum in ihren Bann. Von 2017 bis 2021 wurde das Bild im Bild in der Restaurierungswerkstatt für Gemälde der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden freigelegt und somit eine ungetrübte Betrachtung und umfassende Interpretation des Kunstwerks ermöglicht. Jetzt ist es in einer Ausstellung mit dem Titel „Johannes Vermeer. Vom Innehalten“ bis zum 02. Januar 2022 in Dresden zu besichtigen.

 

Sucht man das Internet nach Beiträgen zu Jan Vermeer ab, stellt man schnell fest, dass wenige Seiten, die sich der Vermittlung von Kunst verschrieben haben, ohne den holländischen Maler des Barock auskommen. Ob Internetseiten von Museen, von analogen Medien wie Funk und Fernsehen oder artsandculture.google.com – fast alle sind Einführungen in die Kunst Vermeers, die im diskursiven Verlauf naheliegende Schritte in Richtung Vermittlung komplexer Inhalte vornehmen. Wie bei keinem anderen Maler der Geschichte der Kunst scheinen die klaren Bilder fast unvermittelt zu den universellen Themen wie Raum und Zeit, Leben und Tod, Kunst und Wahrnehmung, Farbe und Licht und nicht zuletzt Liebe und Leid zu führen.

 

In diesen Tenor stimmt auch ein bebilderter Text ein, der in der Sparte „Bildende Kunst“ in dem Blog auf der Kunstvermittler-Seite aus Österreich – „Der Leiermann. Die ganze Welt der klassischen Kultur“ – veröffentlicht wurde. Der Beitrag wurde von Georg Rohde, einem der Autor*innen der Plattform, verfasst, der vermutlich nicht zufällig ein Detail aus dem Bild „Die Dienstmagd mit Milchkrug“ von Vermeer als Header wählte. Darin ist vor allem der milchige Lichteinfall auf dem Oberkörper der Frau und auf der dahinter stehenden weißen Wand zu sehen, so wie er im 17. Jahrhundert als der eines substantiellen Äthers verstanden und gesehen wurde.

 

Sicher wird in dem Beitrag vor allem das im Kunsthistorischen Museum in Wien aufbewahrte Bild Jan Vermeers „Das Atelier“/“Die Malkunst“ besprochen, doch darüber hinaus führt er in die Kunst des europäischen Barock ein und macht Lust auf mehr Konsum von Kunst und Kultur der klassischen Epochen. Diese Qualität ist für die ganze Internetseite „Der Leiermann“ bezeichnend: Ob der Verlag, die Kursplattform oder der Blog – alle greifen ineinander und spannen einen Bogen zwischen Vermittlung von Grundkenntnissen und Ausführung von Kenner-Wissen. Es bleibt dem/der Nutzer*in überlassen, den letzten Schritt der Kunst entgegen zu schreiten und sich – entweder in passiver Lektüre und Betrachtung oder in analoger und einfachen digitaler Interaktion – für den Genuss von literarischer, musikalischer oder bildender (und sogar kulinarischer) Kunst und Geschichte auf dieser Plattform zu entscheiden.

 

Es werden historische Geheimnisse gelüftet, Fenster und Türen zur Musik geöffnet, Brokatvorhänge vor Bildern verschoben, die Wiener Küche vorgestellt,  aber es wird niemals alles erzählt, nie alles erklärt, nirgendwo alles gezeigt, so dass die Neugierde von Besucher*innen dieses virtuellen Raums der klassischen Kultur eher angeregt als gestillt wird. Eine der spannendsten Rubriken ist jene der Stadtschreiber*innen, in der man als Leser*in zeitgenössischer Chronist*innen beiwohnt, die Alt und Neu in den Städten Europas erfahrbar machen.

 

In einer Zeit, in der an jeder Ecke (klimatische und andere) Katastrophen lauern, erfährt die Angst vor dem Ende und der Leere einen Zuwachs, der zugleich den Hunger nach Leben und nach Inhalten steigert. Man kann nicht immer überall sein, nicht alles erleben, nicht alles sehen, obwohl man es heutzutage vielleicht gerne täte. Eine solche Plattform wie „Der Leiermann“ bietet eine gute Gelegenheit dazu, mit dem Kern europäischer Kunst und Kultur in angenehmer Weise und von überall aus vertraut zu werden. Außerdem bringt sie vielseitige Autoren und heterogenes Internetpublikum in einem wirtschaftlichen Modell zusammen, der sich für beide Seiten zu lohnen scheint.

 

Für Kunsthistoriker*innen, die mitarbeiten wollen, geht es hier zur Anmeldung.

Kategorien
Allgemein Influencer*innen Kunsthistoriker*innen Nicht verpassen Trendsetter*in Wandel

Aktuell: Calaios.eu – Aus dem Pausanio Newsletter vom August 2021

<<Liebe Leserinnen und Leser

Wir haben gegründet und sind im Startup-Fieber. Bereits in wenigen Wochen wollen wir die Plattform Calaios launchen, damit Guides, Explainers und Educators mit Online-Führungen von spannenden Orten berichten und zugleich auch Geld verdienen können.

Aber nun von Anfang an. Mit der Corona-Pandemie waren in kurzer Zeit viele Kunstvermittler:innen und Städteguides ohne Arbeit. Kulturinstitutionen mussten schließen, Führungen und Workshops konnten vor Ort nicht mehr stattfinden. In Seminaren der Pausanio Akademie zu Cultural Entrepreneurship reifte eine Idee heran. In den letzten Monaten haben wir dann mit einem Gründerteam aus der Idee ein Geschäftsmodell entwickelt, das die Bedarfe von allen drei Partnern gleichermaßen bedienen soll.

Die Teilnehmer:innen wünschen inspirierende live Führungen und Berichte von Orten, zu denen sie nicht kommen können. Die Guides und Veranstalter wollen ihr Wissen und ihre Erlebnisse professionell vermitteln und damit Geld verdienen. Die Kosten für die Plattform müssen bezahlt und die Mitarbeiter:innen entlohnt werden.

Öffentliche Förderungen für Geschäftsmodelle in der Kultur ist kaum möglich, daher wollen wir das Projekt aus eigener Kraft zusammen mit den Partnern stemmen. Wir sind überzeugt, dass wir in der Kultur- und Kreativwirtschaft nachhaltig Geschäftsmodelle für Freiberufler:innen und Gedächtnisinstitutionen etablieren können.

Auf Calaios werden Online-Führungen, Vorträge & Workshops zu Kunst, Kultur, Natur und Wissenschaft angeboten. Sie sind die zentralen Quellen, aus denen wir die Ideen schöpfen, um den Wandel in die nächste Gesellschaft zu gestalten. Wir brauchen Zugänge zu diesen Themenfeldern und Menschen, die Freude und Expertise haben, komplexe Themen anschaulich zu vermitteln. Calaios versteht sich als ein Experimentierfeld für neue digitale Vermittlungsformate.

Die digitale Vermittlung bietet heute völlig neue Möglichkeiten. Die Aufnahmequalität von Ton und Film hat sich in den letzten Jahren rasant verbessert und professionelle Geräte sind erschwinglich geworden. Das Internet setzt sich weltweit durch und auch in Deutschland verbessern sich – langsam 🙂 – die Bandbreiten. Die Infrastruktur ist da und die digitale Kompetenz nimmt spätestens seit Corona in allen Bereichen zu. Die Möglichkeiten der digitalen Vermittlung sind noch nicht ausgeschöpft. Wir stehen gerade erst am Beginn.

Und was fehlt? Das zentrale Problem der meisten Gedächtnisinstitutionen und schon gar der vielen freiberuflichen Guides ist, dass ihnen die Reichweite fehlt. Das wollen wir nun ändern. Wir arbeiten zur Zeit mit einem Team von 14 Personen an der Plattform Calaios.eu, die im Oktober online gehen wird. Wir starten mit Veranstaltern aus Deutschland und werden ab Mitte 2022 ins europäische Ausland skalieren, um Calaios als zentrale Plattform für Online-Veranstaltungen in Europa zu etablieren.

Seit wenigen Tagen ist die Pre-Site von Calaios.eu online. Wir laden Veranstalter:innen und Guides ein, sich zu bewerben und ihre Ideen und Erfahrungen einzubringen. Interessierte Teilnehmer:innen, die sich für den Newsletter anmelden, werden rechtzeitig über die nächsten Schritte und die Veranstaltung zum Launch informiert. In den nächsten Wochen werden wir dann den Login freischalten, damit Veranstalter:innen und Guides auf Calaios ihre Veranstaltungen vollständig eintragen können.

Machen Sie also mit, ob als Teilnehmer:in, Veranstalter:in oder Guide. Erzählen Sie von Calaios.eu Ihren Freund:innen und Bekannten. Leiten Sie diesen Newsletter gerne weiter. So helfen Sie uns, die Idee von Online-Führungen zu etablieren, um „Menschen an Orte zu führen, zu denen sie nicht kommen können“.

Mit einem ersten Austausch beginnen wir bereits im Pausanio Plenum am Donnerstag, den 2. September 2021 von 13-14 Uhr. Hier wollen wir Erfahrungen über Online-Führungen austauschen und über Calaios berichten. Einfach vorbeikommen und dabei sein. Die Zugänge finden Sie beim Pausanio Plenum oder Sie kommen gleich auf das MiroBoard. Dort finden Sie ebenfalls den Zoom-Link und können bereits Namenskärtchen und Fragen notieren.

Ich bin gespannt, wohin uns Calaios führen wird, und freue mich über den Austausch>>
Holger Simon