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Das Piranesi-Prinzip: Eine zeitlose Ausstellung im Internet

Im Schatten der Corona-Pandemie fand vom 04. Oktober 2020 bis zum 07. Juli 2021 in der Berliner Kunstbibliothek eine Ausstellung zum 300. Geburtstag von Giovanni Battista Piranesi (1720-1778) statt, die gemeinsam von Studierenden, Kurator*innen und Forscher*innen der Kunstbibliothek und dem Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt Universität zu Berlin konzipiert wurde und in Kurzfassung bei Google Arts & Culture auch nach dem Event besichtigt werden kann. Es ist an sich nichts Außergewöhnliches, zum runden Geburtstag eines berühmten Architekten, eine Ausstellung mit Exponaten aus dem Bestand einer Kunstsammlung auszurichten, doch griff die hier thematisierte Schau über dieses Vorhaben hinaus. Das liegt nicht allein an der komplexen Persönlichkeit Piranesis, der Archäologe, Künstler, Architekt, Sammler, Designer, Verleger und Autor in einem war, sondern vielmehr an dem Konzept der Ausstellung, die sich nicht zuletzt als Hommage an eine geschichtsträchtige Stadt wie die Stadt Rom präsentierte.

 

Das Piranesi-Prinzip besteht nicht allein in den mannigfaltigen Entwürfen von Architektur, die bei diesem italienischen Meister des späten Barock unterschiedliche Bereiche – wie Design (Kaminentwürfe), Theaterkulissen (Bühnenentwürfe und Gruselkabinette), Veduten (Denkmal- und Stadtansichten) und Urbanistik (Rekonstruktion von alten Stadtteilen) – abdeckt, sondern und vor allem in der Verwertung und in der Aufwertung von Althergebrachtem, von Ruinen, Fragmenten von Statuen, überwuchernder Natur, von Mauerresten bis hin zu verbrauchtem und vergilbtem Papier. Im Werk dieses Künstlers, der sich dem Verfall einer Stadt verschrieben hat, scheint der antike Ruhm Roms erstrecht aufzublühen und der unverwechselbare Charme der neuzeitlichen Metropole zu liegen. Die kraftvolle Zeichnung des Meisters ist nicht nur Ausdrucksmittel eigener Persönlichkeit, sondern auch der Schönheit einer Architektur, die in ihrer ständigen Verwandlung lebendig bleibt.

 

Betrachtet man die Rekonstruktion des Circus Maximus in Rom sieht die Architektur wie eine Traumkulisse aus, die wann immer auf- und abgebaut werden kann. In den Entwürfen ist dieser Aspekt der potentiellen Abänderung oder der Metamorphose von Architekturelementen noch deutlicher. Wiederholte, sich schlängelnde oder sich verlaufende Linien heben die Formen aus der zweidimensionalen Fläche des Papiers hervor und suggerieren zugleich einen möglichen, anderen Verlauf und somit nicht ausgeführte aber im Blick des Betrachters entstehende, potentiell neue Anordnungen. Der/Die damalige Besucher*in von Piranesis Werkstatt und Sammlung und der/die heutige Nutzer*in des digitalen Angebots kamen und kommen mit Sicherheit ohne technischen Hilfsmittel zur Interaktion mit den Bildern. Es gibt viel Raum, um die Kulissen nach eigenem Geschmack in der Vorstellung zu ergänzen, denn man wird von diesem Meister der optischen und geistigen Verführung an jedem Detail der Zeichnung abgeholt.

 

Eine auf jeden Fall zu empfehlende Ausstellung im Internet, bestimmt auch mit aufschlussreichem, anschließendem Besuch der Bestände der Kunstbibliothek in Berlin.

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Ausstellungen

Interaktion als Hauptmerkmal digitaler Kunst im ZKM in Karlsruhe

„Critical Zones. Horizonte einer neuen Erdpolitik“ ist der Titel einer virtuellen Kunstausstellung des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe. Sie begleitet eine analoge Ausstellung gleichen Titels, die letzten Sommer eröffnet wurde (24. Juli 2020) und bis zum 8. August 2021 dauert. Sie beschäftigt sich mit dem kritischen Zustand der Erde und ist eine interaktive Plattform für Besucher*innen aller Alterskategorien, die Kunst zu diesem Thema erfahren und gestalten wollen.

Die in vier Sektionen gegliederte Ausstellung – Critical Zone Observatories (CZO), Ghost Acreages, We live inside Gaia und Becoming Terrestrial – kann am leichtesten über einen subjektiven Parcours besichtigt werden. Durch einfaches Scrollen begegnet man den Kunstwerken auf (oder auch außerhalb) der Plattform, die dem gewählten Zugang – Metamorphose, Symbiose, Kontamination oder anderer Weg mit Alternative Kartografie, Politik der Pflanzen und Sensoren – entsprechen. Damit hinterlässt man in der digitalen Ausstellung eine eigene Spur wie ein Palimpsest, der wieder abrufbar ist, den man weiter verändern und ergänzen kann.

Mit einer Abfolge von Zitaten – die zum Nachdenken über den Zustand der Erde einladen – und Eingangsbilder von digitaler und multimedialer Kunst kann die kritische Zone nach selbst erwählten Kriterien des jeweiligen Besucher*in betreten, erforscht und teilweise verändert werden. In einer Installation von Sarah Sze beispielsweise, „Flash Point“ (Timekeeper) von 2018, wird der/die Betrachter*in von einem Kunstwerk umgeben, wenn er sich ihm nähert. Zahlreiche Bildschirme und Kameras machen es möglich, dass der/die Besucher*in in das Kunstwerk einbezogen, teils aufgenommen und weiter projiziert wird.

Zu der Bedrohung der Korallen hat Petra Maitz eine Installation aus gestrickten und ghäckelten Formationen unter dem Titel „Lady Musgrave Reef“ von 2007 ausgestellt. Virtuell kann man diese Landschaft mittels einer Videoaufnahme folgen und die Natur in dieser Form handwerklicher Interpretation doppelt bewundern. Neben dieser traditionellen Darstellungsform gibt es aber auch digitale Formate.

Man kann zum Beispiel einen digitalen Raum betreten, durchwandern und – wenn man nicht aufpasst – mit einem saftigen Knirschen von Insekten oder anderen kleinen Lebewesen verspeist werden. „The Swamp Game“, 2020 von Nomeda & Gediminas Urbonas, mit Nikola Bojic, Kristupas Sabolius und Indre Umbrasaite (mit Climate Visions) führt in diesen Raum, der einem Moor nachempfunden wurde. Ziel ist es auch gegessen zu werden und so als Mikroorganismus in den natürlichen Kreislauf zu treten.

Eine „Glossolalia“ von Bettina Korintenberg, Rachel Libeskind, Robert Preusse und Stefanie Rau macht die Neugierigen mit den wichtigsten Termini des weit gefassten Themas vertraut. Die Abfolge von Begriffen wird als Grundlage einer neuen Sprache verstanden, die es zu erwerben gilt, um im Sinne der Erhaltung der Erde gemeinsam zu kommunizieren und zu handeln. Es erweitert das Sprachvermögen und somit auch den Horizont des/der Besucher*in über die Begriffe wie „Earthbound“, „Fragility“ oder auch „Life-form“ zu streifen.

Eines der kunsthistorisch interessantesten Kunstwerke ist vielleicht „Cloud Studies“ von Forensic Architecture, 2020. Betritt man das Kunstwerk, so sieht man Videoaufnahmen von Wolkenformationen verschiedenen Ursprungs: Zement-, Phosphor-, Glyphosat- u.a. Wolken mit sehr genauen Beschreibungen und Ton-Bild-Dokumentationen zu den aktuellen Konfliktherden auf der Erde. Unter den Wasserwolken findet man die Erklärungen über die Darstellung von Wolken von John Ruskin von 1865 „Modern Painters“ mit Abbildungen der Werke William Turners sowie Berichte über die Flüchtlingskrise der letzten Jahre im Mittelmeerraum.

Es ist möglich, die Lektüre des Buches von Ruskin mit dem zeitgenössischen Bericht zusammen zu hören und auch die Präsentation alter Bilder mit Neuaufnahmen sind in einer Art Collage präsentiert. Ein Programm über die aktuellen Ausstellungen zum Thema wird eingeblendet und eine genaue Auflistung von Ereignissen auf der Erde in Verbindung mit dem Thema zur Verfügung gestellt. Die bedrohliche Entwicklung der Erde wird anhand dieses Beispiels sehr genau deutlich.

Ähnlich wie im hier vorgstellten „Debatorial“ des Zeppelin-Museums in Friedrichshafen werden auch in der virtuellen Ausstellung des ZKM in Karlsruhe aktuelle Ereignisse aufgegriffen und verarbeitet. Die Kunst die an der Schnittstelle von politischen Medienberichten, (natur-)wissenschaftlichen Analysen, genauer Archivarbeit und Dokumentation entsteht, kennt keine Grenzen der visuellen Verarbeitung und Vermittlung von umweltrelevanten Inhalten. Es handelt sich meistens um eine Interferenz verschiedener digitaler Formate und Ausdrucksmittel, die primär auf eine Beteiligung der Besucher*innen zielen.

Hier geht es zur „Kritischen Zone“ des ZKM Karlsruhe: https://critical-zones.zkm.de/#!/