… nennt sich Kesterbrunnen. Der Name kommt von dem Rechtsrat Theodor Kester (1847-1906), der zusammen mit Friedrich Keller (1828-1910) und seiner Frau Luise (1836-1902) eine Stiftung gründete, die den Brunnen 1908 erwarb. Der Bildhauer August Pausenberger aus München schuf die schlichte Skulptur des bronzenen Jünglings mit Weinschlauch, aus dem ein Wasserstrahl fließt. Am 4. Mai 1909 wurde der Brunnen in der Nähe des Marienplatzes an seinem jetzigen Ort aufgestellt, während des Zweiten Weltkriegs – zum Einschmelzen für Kriegsmaterial nach Hamburg verfrachtet, woher es 1950 – auf einem Schrottplatz entdeckt – unversehrt zurückkehrte.
Es ist der erste Brunnen, den ich in diesem Frühjahr aufgedeckt sah. Ein rot blühender Frühlingsstrauch in der Nähe leitete mich zu einer Collage, als würde die Skulptur aus den Zweigen erstehen. Der nackte jünge Körper im antiken Kontrapost erinnerte mich im Vorbeigehen an den Doryphoros, dem bronzenen Speerträger des griechischen Bildhauers Polyklet (5. Jh. v.Chr.), der in römischen Marmorkopien bekannt wurde. Der erhobene linke Arm und die lockere Haltung ähnelt aber auch jenem des David (1501/04) von Michelangelo (1475-1564) in Florenz. Beide Vorgänger bilden aber ältere und kräftigere Körper ab, der Augsburger Jüngling lehnt sich in seiner Knabenhaftigkeit eher an Auguste Rodins (1840-1917) „Ehernes Zeitalter“ (1875/76) an oder, noch eher, an den David (1440) des Donatello (1386-1466).
Alle hier genannten Statuen, die ich vor allem aus Abbildungen in Büchern kenne, sind mit dem schönen Knaben von Pausenberger verwandt. Die Reihe könnte auch noch durch andere Analogien ergänzt werden. Ob es zwischen dem Jugendstil des Kesterbrunnens und den älteren Werken eine reale Abhängigkeit besteht, könnte eine kunsthistorische Untersuchung ergeben. Wahrscheinlich müsste man hier auch Darstellungen von Jungen in dem Gefolge des griechischen Weingottes Dionysos heranziehen. Unabhängig davon ist aber die Allee, die der Brunnen eröffnet, eine kleine (natürliche und gedankliche) Oase inmitten eines belebten Zentrums der Stadt. Wer heute diesen Weg von oder zum Augsburger Königsplatz nimmt, zieht die vorübergehende Ruhe und einen kulturellen Abstecher dem Trubel der Stadt vor.
Ich gehe nicht ohne an den letzten Skandal um den David von Michelangelo in den USA zu denken. Die nackte Statue des Brunnens an der Schießgrabenstraße war ursprünglich mit zierlichen, abschraubbaren Weinblättern bedeckt. Das war aber 1909! Es verlor niemand den Posten wegen einer vermeintlichen Pornodarstellung. Und die zahlreichen Schüler des Augsburger Holbein-Gymnasiums, die täglich an dem Brunnen vorbeigehen, haben kaum einen Blick übrig für die verhaltene und diskrete Aktdarstellung in Bronze eines jungen Mannes mit Weinschlauch, aus dem ein Wasserstrahl fließt…
(Vgl. Schad M., Brunnen in Agusburg. Gondrom 1992, S. 62-65.)