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Jean Siméon Chardin…

… ist einer der sinnlichsten Maler, die ich kenne. Trotzdem zögern die Veranstalter neuer Lichtspiele mit Kunst, mit seinen Werken Räume zu gestalten. Zumindest habe ich bisher nicht gehört oder gesehen, dass einer der zeitgenössischen Ausstellungsmacher (wie das Atelier des Lumières in Paris) seine Gemälde auf große Flächen projiziert hätte. Dabei wurden die Impressionisten, die sich von Chardin bekanntlich maßgebend inspiriert haben lassen, schon mehrfach in diesen neuen Galerien thematisiert. Warum also nicht auch einer ihrer Vorgänger?

In seinen stillen Genrebilder – wie das bekannte „La Bénédicité“ (1725/50), auf der Seite des Louvre unter: https://collections.louvre.fr/ark:/53355/cl010059556 zu sehen oder „La Pourvoyeuse“ (1739) unter: https://collections.louvre.fr/en/ark:/53355/cl010059178  – würde man sich trotz der Bescheidenheit des Raums gut aufgehoben fühlen. Die Frauengestalten sind leicht melancholische Wesen, deren Wärme sich in ihrer – meist kargen – Umgebung, der Küche oder der dependances ausbreitet. Kinder und Jugendliche in seinen Gemälden sind kleine, elegante, brave und musisch begabte Abbilder der verhaltenen Erwachsenenwelt. Die Ruhe dieser häuslichen Welt scheint Chardin mehr fasziniert zu haben, als alles andere.

Abseits lauter Marktbilder entstanden auch seine Stillleben mit einfachen „Zutaten“ wie Pflaumen, Pfirsiche, Kupferkessel, Silberbecher und Weinflaschen auf breiten Steinplatten. Eine schöne Sammlung davon besitzt der Louvre und man wird nicht satt, diese kleinen Bilder der kulinarischen Vollkommenheit zu betrachten:

„Panier de pêches, avec noix, couteau et verre de vin“ (1768) – https://collections.louvre.fr/en/ark:/53355/cl010059177

„Ustensiles de cuisine, chaudron, poêlon et oeufs“ (1733) – https://collections.louvre.fr/en/ark:/53355/cl010059558

Berühmt sind auch die zu kleinen oder größeren Mahlzeiten gedeckten Tische mit feinem Porzellan, seltenen Früchten und guten Speisen im diskret feierlichen Ambiente, wie: „Le Bocal d’olives“ (1760) – https://collections.louvre.fr/en/ark:/53355/cl010059554 oder „La Brioche“ (1763) – https://collections.louvre.fr/en/ark:/53355/cl010059552

Große Aufnahmen dieser und anderer seiner Gemälde würden wahrscheinlich die ruhige Atmosphäre der lichten Interieurs verstärken, vielleicht auch eine genaue Betrachtung des Farbauftrags und der Pinselführung ermöglichen und ein besseres Verständnis seiner Kunst herbeiführen. Das Ineinandergreifen der Malweise, des Weltbildes des Künstlers und der Einladung an den Betrachter, Teil dieser kleinen verzauberten Welt zu werden, wäre möglicherweise nachvollziehbar. Die Erfahrung der Intimität eines künstlerischen Universums wäre auch für den Besucher eine solchen Lichtausstellung ein willkommenes Erlebnis in einer rastlosen Zeit.

Umso schöner den geheimnisvollen Werdegang eines Malers zu verfolgen, dessen Karriere mit einem Rückgriff auf die flämische Barockmalerei und einem verhältnismässig „lauten“ Bild begann:

„La Raie“ (1728) – https://collections.louvre.fr/en/ark:/53355/cl010065938

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Von Byzanz weg… / unterwegs (Serie)

An ein Praktikum in der nördlichen Moldau und der Bukowina nach dem vierten Semester Kunstgeschichte an der Bukarester Akademie der Kunst erinnere ich mich immer wieder gerne. Wir hatten die Aufgabe, die ikonographischen Programme der Malereien in den mittelalterlichen Kirchen zu verfolgen und Abweichungen zu interpretieren. Es war ein heißer Sommer und wir suchten alle relevanten Klosterkirchen mit Aussen- und Innengemälden auf. Damals lernte ich von der damaligen Professorin Corina Popa (*1942), dass es für Kunsthistoriker*innen keine verschlossenen Türen gibt, wenn es um Kunst geht.

Wir gingen entschieden in die Kirchen rein bis zum Altarraum, der in orthodoxen Ländern nur dem Priester vorbehalten ist und hielten uns dort auf, bis alle Heiligendarstellungen erschöpfend besprochen waren. Den entrüsteten Nonnen erörterten wir den Wert der Kunst und der Denkmale, der auf jeden Fall als der religiösen Nutzung übergeordnet zu sehen sei. Erst nachdem wir alles aufgezeichnet und vertieft hatten, verließen wir wieder die Räumlichkeiten unsicher darüber, ob wir selber unter Zeitdruck zum nächsten Denkmal eilten oder mehr oder minder verdeckt rausgeschmissen wurden.

Auf jeden Fall nahm ich die Überzeugung mit, dass ich vor verschlossenen Türen an Denkmalen keinen Halt machen muss. Und in meinen späteren Reisen durch Europa sah ich eigentlich alles, was ich sehen wollte, sei es dass der Schlüssel einer romanischen Kirche mittags bei einem schlafenden Küster war, sei es dass der Besuch einer Sehenswürdigkeit nur einer begrenzten Anzahl von Touristen gestattet wurde, oder dass in einem bestimmten Raum gerade getagt, gefeiert oder gebetet wurde.

In einem Sommer in den 1990er Jahren des 20. Jahrhunderts war ich in einem Urlaub auf der Chalkidiki. Ich nahm das als Anlass auch Thessaloniki zu besuchen und da die byzantinischen Kirchen. Seit einer Reise in meiner Kindheit war ich in dem Griechenland meiner Großeltern nicht mehr gewesen und vieles wusste ich nicht mehr. An der Osios David, der Kirche des ehemaligen Latomos-Klosters – seit 1988 Teil des UNESCO-Welterbes – war der Pförtner unwillig uns, wenigen Touristen, die Tür zu öffnen. Es war Mittag, es war heiß, er setzte sich auf einer Bank vor dem Eingang in der Kirche und machte keine Anstalten die Kirche jemals öffnen zu wollen. Nach einiger Wartezeit, in der sich niemand und nichts bewegte, sammelte ich meine Erinnerungen der griechischen Sprache zusammen – „Du kannst das, was die Griechen vergessen haben“, pflegte mein Großvater zu sagen -, und bat ihn in seiner Sprache, uns den Raum zu öffnen. Tatsächlich leuchtete sein Blick auf, er erhob sich, holte die Schlüssel aus der Tasche und öffnete mit einer breiten Geste die Tür. Ich wusste, dass ich so schnell nicht wieder jene Orte besuchen würde und ich war froh, damals diese einmalige und sehr frühe Darstellung in Mosaik des bartlosen Christus zu bewundern. Was ich denn dem Pförtner geflüstert hätte, wollte ein westlicher Tourist wissen, der sich über den Wandel in der Gesinnung des Gastgebers wunderte. „Ich weiß es nicht“, antwortete ich, „aber es war wohl richtig.“

Den Rest des Urlaubs verbrachte ich auf Sithonia und träumte davon Athos besichtigen zu können. Am Strand schmiedete ich Pläne, in denen ich als Mann verkleidet vom Meer aus die Halbinsel erreichen würde. Dann würde ich mich von Kloster zur Einsiedlung und zum Stift schleichen und jene Kunstwerke betrachten, die Athos niemals verlassen haben. Ich frage mich, ob es heute möglich ist, mit der neuen Technologie, mittels einer Kamera an einer Live-Reise für alle, die Athos nicht betreten dürfen, teilzunehmen? Ob Athos Internet kennt? Dann könnten vielleicht  Kunsthistoriker von calaios.eu einmal hinfahren und für uns die Türen öffnen. Damals gab ich mich am letzten Tag meines Aufenthalts in Thessaoniki zufrieden mit dem Besuch der ersten Ausstellung in Griechenland, in der die „Schätze vom Berg Athos“ (1997) einer breiten Öffentlichkeit gezeigt wurden.

Der festen Gläubigkeit hingegen fielen nach der Wende in Rumänien einige Denkmäler zum Opfer. In so manchen Gegenden trugen die Bewohner alte Kirchen ab und ließen neue und „schöne“ an ihrer Stelle errichten. Ich war bereits im Westen, hörte hin und wieder von den verzweifelten Aufrufen von Kunst- und Kulturschaffenden vor Ort und konnte die Ereignisse nicht einmal mehr verfolgen. Ein anderer, anstrengender Alltag nahm mich mit in ein anderes Leben, weg von Byzanz. Das Los der Denkmale aber ist jener, anderer Werke der Menschheit ähnlich. Einiges bleibt erhalten, anderes wird zerstört, wenige werden gerettet, die meisten vergessen, umgebaut, dem Erdboden gleich gemacht. Für Kunsthistoriker bleiben Bruchstücke, Erinnerungen, Fragmente schriftlicher oder materieller Zeugnisse, Spolien und Palimpseste, aus denen eine vergangene Zeit mehr oder weniger realitätsgetreu  nachgezeichnet wird.

 

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iART – ein Tool zum Vergleich großer Datenmengen bietet interessante Analogien

Gibt man in der Suchmaschine www.iart.vision die Stichwörter „Lady with Camellias“ ein, so hat man zuerst den Eindruck, dass der Bildschirm brennt. Wie es die europäischen Datenbanken wollen, aus denen der Tool seine Ergebnisse schöpft, sticht eine heteronormative Sicht des Themas heraus. Von Hellrosa bis Dunkelrot brennen sich die weiblichen Porträts samt Blumenstäussen, -kränzen und -arrangements in das Bewusstsein der Betrachter, bevor diese überhaupt die unterschiedlichen Genres oder die einzelnen Epochen auseinanderhalten können. Ob adlig oder bürgerlich, ob arm oder reich, ob bekleidet oder nicht, oberste Attribute aller dargestellten Damen sind Sinnlichkeit und Attraktivität. So als ob von Titian und Rembrandt über Van Dyck, Largillière und Boucher bis hin zu den Präraffaeliten und den Fashion-Zeichnern der Biedermeierzeit, quer durch alle Schulen und Regionen Europas immer nur die eine ideellen Kameliendame gemalt worden wäre, das Sinnbild von weiblicher Schönheit und Erotik.

 

Interessant ist allerdings, dass bei einer genaueren Betrachtung der Abbildungen und einer differenzierten Clustereinstellung sich der Verdacht einstellt, dass in den Frauenporträts mit Blumen der späteren Jahrhunderte – als das barocke Rollenspiel in Anlehnung an die Antike abklang – nach Wunsch des Malers, des Modells oder des/der Auftraggebers*in eigentlich auch (nur) Varianten von Venus beziehungsweise Flora abgebildet wurden. Gibt man in die Suchmaschine die Termini „Venus“ oder „Flora“ ein, erscheinen allerdings ganz andere Ergebnisse, mit denen man als Kunsthistoriker*in auch rechnet. Die Venusdarstellungen sind allesamt Aktbilder, die Flora-Darstellungen – blumig und mädchenhaft. Dass der oben beschriebene Schönheitideal, welches in der Romantik der Literatur entlehnt wurde, in der Kunst so weit zurückreichende und zahlreiche Vorbilder hat, war mir in dieser Form nicht bekannt, wird aber jetzt dank der Suchmaschine sehr deutlich. Zwischen den Venus- und Flora-Typen erscheint ein anderes Frauenbild, welches die beiden Vorgänger vereint, sich im Laufe der Jahrhunderte in der Malerei profiliert hat und in der Romantik im wahrsten Sinne des Wortes zur Blüte gelangt ist.

 

Ein anderes Beispiel zeigt, dass dieses Ergebnis keineswegs ein Zufall ist, sondern die Suchmaschine tatsächlich in der Lage ist, neue und interessante Perspektiven auf die Kunst zu werfen. Probiert man eine Suche nach den Gemälden von Chardin erscheinen selbstverständlich erstmal seine zahlreichen Stillleben und die wenigen Genrebilder. Doch auf den sieben Seiten Suchergebnissen befindet sich vor allem holländische Genremalerei, mit der man vielleicht in solcher Fülle nicht gerechnet hätte. Denn, auch wenn bekannt ist, dass Jean Simeon Chardin (1699-1779) sich von der flämischen Malerei hat inspirieren lassen, sind in der Forschung bislang zunächst die Stillleben als Vergleich bei Recherchen hinzugezogen worden und gelegentlich Frauenfiguren bei Hausarbeiten in der Genremalerei. Hingegen wird jetzt deutlich, dass vor allem aus Flandern die Küchenszenen des Barocks die Atmosphäre teilen. So als ob Chardin die bäuerlichen Figuren ausgespart und sich dem Hausrat aus diesen Bildern gewidmet hätte. Daraus hat er einen eigenen Stil entwickelt und ein malerisches Universum geschaffen, in dem seltene und verhaltene Menschensilhoutten zwischen scheinbar beseelten Gegenständen agieren. Dass genau dieser Aspekt seiner Kunst – vermutlich auf dem Umweg von Stichen – dem niederländischen Barock entlehnt werden konnte, ergänzt substantiell das Bild des französischen Malers in der Geschichte der Kunst.

 

Schließlich habe ich das Suchfeld auf www.iart.vision mit dem Begriff „unicorn“ versehen und über die Ergebnisse gestaunt. Nein, das Einhorn in der Geschichte der Kunst, ist nicht oder nicht nur mit vornehmen Damen, Turinieren und kostbaren Interieurs in Verbindung zu bringen, sondern eher mit Tierdarstellungen wie mit Böcken, Rindern und weißen Pferden. So war es zunächst vermutlich eher mit grotesken Figuren im Gefolge von Bacchus assoziiert, als mit zart besaiteten Wesen der mittelalterlichen Minne. Auf jeden Fall aufgrund der Suchergebnisse des iART-Tools kann man von einem wechselhaften und ungewöhnlichen Werdegang des Motivs in der Kunstgeschichte Europas ausgehen.

 

Hier geht es zum DFG-Projekt „iART“ auf der Seite des Instituts für Kunstgeschichte der Maximilians-Universität in München.

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Der Leiermann – ein Kulturvermittlungsprojekt aus Österreich

In diesen Tagen kommt wohl kein*e Kunstliebhaber*in und kein*e Kunsthistoriker*in an dem Maler Johannes Vermeer (1632-1675) vorbei. Die Sensation um sein Bild des Liebesgottes mit Bogen, Pfeilen und zwei Masken in dem Bild des „Brieflesenden Mädchens am offenen Fenster“ (1657-1659) zieht weltweit das Publikum in ihren Bann. Von 2017 bis 2021 wurde das Bild im Bild in der Restaurierungswerkstatt für Gemälde der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden freigelegt und somit eine ungetrübte Betrachtung und umfassende Interpretation des Kunstwerks ermöglicht. Jetzt ist es in einer Ausstellung mit dem Titel „Johannes Vermeer. Vom Innehalten“ bis zum 02. Januar 2022 in Dresden zu besichtigen.

 

Sucht man das Internet nach Beiträgen zu Jan Vermeer ab, stellt man schnell fest, dass wenige Seiten, die sich der Vermittlung von Kunst verschrieben haben, ohne den holländischen Maler des Barock auskommen. Ob Internetseiten von Museen, von analogen Medien wie Funk und Fernsehen oder artsandculture.google.com – fast alle sind Einführungen in die Kunst Vermeers, die im diskursiven Verlauf naheliegende Schritte in Richtung Vermittlung komplexer Inhalte vornehmen. Wie bei keinem anderen Maler der Geschichte der Kunst scheinen die klaren Bilder fast unvermittelt zu den universellen Themen wie Raum und Zeit, Leben und Tod, Kunst und Wahrnehmung, Farbe und Licht und nicht zuletzt Liebe und Leid zu führen.

 

In diesen Tenor stimmt auch ein bebilderter Text ein, der in der Sparte „Bildende Kunst“ in dem Blog auf der Kunstvermittler-Seite aus Österreich – „Der Leiermann. Die ganze Welt der klassischen Kultur“ – veröffentlicht wurde. Der Beitrag wurde von Georg Rohde, einem der Autor*innen der Plattform, verfasst, der vermutlich nicht zufällig ein Detail aus dem Bild „Die Dienstmagd mit Milchkrug“ von Vermeer als Header wählte. Darin ist vor allem der milchige Lichteinfall auf dem Oberkörper der Frau und auf der dahinter stehenden weißen Wand zu sehen, so wie er im 17. Jahrhundert als der eines substantiellen Äthers verstanden und gesehen wurde.

 

Sicher wird in dem Beitrag vor allem das im Kunsthistorischen Museum in Wien aufbewahrte Bild Jan Vermeers „Das Atelier“/“Die Malkunst“ besprochen, doch darüber hinaus führt er in die Kunst des europäischen Barock ein und macht Lust auf mehr Konsum von Kunst und Kultur der klassischen Epochen. Diese Qualität ist für die ganze Internetseite „Der Leiermann“ bezeichnend: Ob der Verlag, die Kursplattform oder der Blog – alle greifen ineinander und spannen einen Bogen zwischen Vermittlung von Grundkenntnissen und Ausführung von Kenner-Wissen. Es bleibt dem/der Nutzer*in überlassen, den letzten Schritt der Kunst entgegen zu schreiten und sich – entweder in passiver Lektüre und Betrachtung oder in analoger und einfachen digitaler Interaktion – für den Genuss von literarischer, musikalischer oder bildender (und sogar kulinarischer) Kunst und Geschichte auf dieser Plattform zu entscheiden.

 

Es werden historische Geheimnisse gelüftet, Fenster und Türen zur Musik geöffnet, Brokatvorhänge vor Bildern verschoben, die Wiener Küche vorgestellt,  aber es wird niemals alles erzählt, nie alles erklärt, nirgendwo alles gezeigt, so dass die Neugierde von Besucher*innen dieses virtuellen Raums der klassischen Kultur eher angeregt als gestillt wird. Eine der spannendsten Rubriken ist jene der Stadtschreiber*innen, in der man als Leser*in zeitgenössischer Chronist*innen beiwohnt, die Alt und Neu in den Städten Europas erfahrbar machen.

 

In einer Zeit, in der an jeder Ecke (klimatische und andere) Katastrophen lauern, erfährt die Angst vor dem Ende und der Leere einen Zuwachs, der zugleich den Hunger nach Leben und nach Inhalten steigert. Man kann nicht immer überall sein, nicht alles erleben, nicht alles sehen, obwohl man es heutzutage vielleicht gerne täte. Eine solche Plattform wie „Der Leiermann“ bietet eine gute Gelegenheit dazu, mit dem Kern europäischer Kunst und Kultur in angenehmer Weise und von überall aus vertraut zu werden. Außerdem bringt sie vielseitige Autoren und heterogenes Internetpublikum in einem wirtschaftlichen Modell zusammen, der sich für beide Seiten zu lohnen scheint.

 

Für Kunsthistoriker*innen, die mitarbeiten wollen, geht es hier zur Anmeldung.

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Blumen zwischen Weltfrauentag und Palmsonntag

Wenn am kommenden Dienstag die Alte Pinakothek in München wieder öffnet, wird sich mit Sicherheit der/die eine oder andere nicht nehmen lassen, die Räume des berühmten Museums wieder zu betreten. Für kurze Zeit wird man die Online-Sammlung dort lassen, wo sie ist, nämlich im Internet, und sich zu dem Treffen mit Originalen begeben. Wie alte Bekannte wird man einige Kunstwerke wieder begrüßen können und vielleicht auch neue Freundschaften schließen.

Überraschend lebendig und aktuell werden manche Themen von Bildern erscheinen, auf jeden Fall jenes Blumenstillleben von 1715 der holländischen Malerin Rachel Ruysch (1664-1750) im Kabinett 7 im Obergeschoss der Alten Pinakothek. Das Bild wird man zusammen mit den vier Jahreszeiten des Malers Jan Brueghel d.Ä. (1568-1625) und mit zwei Blumen- und Früchtestillleben von Jan van Huysum (1682-1749) besichtigen können, die um 1710/20 entstanden sind. Von hier aus kann ein Stillleben-Rundgang durch die Alte Pinakothek gestartet werden, der manche schöne Überraschung verbirgt.

Zu den Sehenswürdigkeiten dieser Gattung gehört zweifelsfrei das Bild von Willem Kalf (1619-1693) Das Stilleben mit Porzellankanne von 1653 das im Kabinett 19 von einigen zeitgleichen Genregemälden umgeben ist. Es gehören zu diesem ersten Rundgang mit Sicherheit auch die beiden Bilder von Jan Davidsz. de Heem (1606-1684) im Kabinett 23 im OG des Museums. Das eine Stilleben mit Früchten und Silberschale ist vermutlich um 1652 gemalt worden, das zweite – Blumenstillleben mit Totenkopf und Kruzifix – um das Jahr 1645.

Das Bild von Abraham van Beyeren (1620-1691) – Großes Stillleben mit Hummer – von 1653 kann ebenso in Saal IX im OG der Pinakothek besucht werden. Neben berühmten Werken des Rembrandt Harmensz. van Rijn (1606-1669) hängt da noch ein holländisches Stillleben von um 1670/80 von Juriaen van Streek (1632-1687), dessen Titel – Stillleben mit Mohr und Porzellangefässen – von der Geschichte der Niederlanden als Kolonialmacht erzählt. Schließlich wird man vor dem Bild von Balthasar van der Ast (1593-1657), Stilleben mit Früchten und Seeschneckenhäusern von um 1653 im Kabinett 20 verweilen können.

Bekanntlich sprechen die Gemälden der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts von der Vergänglichkeit von Pracht und Prunk und mahnen zur Enthaltsamkeit. Gewiss wird man bei diesem kleinen Rundgang auf andere Stillleben treffen, die vielleicht seit dem letzten Besuch der Alten Pinakothek in Vergessenheit geraten sind. Als Beispiel sei hier noch einmal ein Bild Jan Brueghel d.Ä. genannt: Die Heilige Familie (um 1620/23) im Kabinett 9 im OG der Alten Pinakothek.

Bei dem analogen Rundgang durch die ständige Ausstellung der Gemäldegalerie in München werden bestimmt auch Assoziationen mit anderen Gattungen barocker Malerei wieder aufflackern. So wie sich manches Detail erst vor dem Original erschließt, wird auch mancher Gedanke an Leben und Tod im Gehen wiederaufgenommen werden. Diese und andere Gedanken können aber – zum Abschluss des Parcours – ihre Leichtigkeit wieder gewinnen, wenn man die beeindruckenden, in anderen Sammlungen der Welt aufbewahrten Blumenstillleben der eingangs erwähnten Malerin Rachel Ruysch, digital abruft.

Blumenstrauss, 1706, Kunsthistorisches Museum Wien, Kabinett 17.

Blumen in der Vase, um 1685, National Gallery London, Room 17a.

Blumenstillleben, 1698, Städel Museum Frankfurt, 2. OG