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… zurück zu Byzanz / unterwegs (Serie)

In den 1990er Jahren kehrte ich noch einmal thematisch zu Byzanz zurück, aber – aus heutiger Sicht betrachtet – nur um gründlicher Abschied zu nehmen. Die Abteilung Byzantinistik des Instituts für Altertumskunde der Universität zu Köln organisierte unter der Leitung von Professor Dr.Dr. h.c. Peter Schreiner (* 1940) im Frühsommer 1998 eine Reise nach Istabul, um einige der byzantinischen Denkmale zu besichtigen. Es gab Referate zu den Sehenswürdigkeiten und wir konnten viele Kenntnisse der Geschichte vor Ort besprechen.

Im Freundeskreis teilte ich mit, ich würde nach Konstantinopel fahren und war so aufgeregt, wie selten bei einer Reise in Ländern Europas. Die Erinnerungen sind sehr verblasst, aber einiges – wie die Bosphorus-Fahrt – ist so lebendig geblieben, als hätte die Exkursion gestern stattgefunden. Wir sahen und lernten viel über die Hagia Sophia, Hagia Eirene, über die Fussbodenmosaiken des alten Palastes, über den Hippodrom, über die Lateinerquartiere und Galata. Kalenderhane Camii, Süleyman Camii, Koca Mustafa Pasa Camii, Chora-Kirche, Pammakaristos, Polyeuktos, Lips-Kloster bekamen mit jedem neuen Tag mehr Substanz und wir freuten uns, über erhaltene und nicht mehr erhaltene Reste Neues zu erfahren.

Unter anderem wählte ich über die Kariye Camii (ehem. Chora-Kloster) zu referieren und blieb lange Zeit in Gedanken an dem teilweise erhaltenen, ikonographischen Programm. Interessant war nicht nur die Tatsache, dass es sich hierbei um das ausgedehnteste, in den ehemaligen Grenzen des byzantinischen Reichs erhalten Bilderzyklus handelt (übertroffen nur noch von San Marco in Venedig und Monreale auf Sizilien), sondern, dass es – als Grablege eines byzantinischen Gelehrten, Theodoros Metochites (cca. 1260-1332) – eine Komplexität der Themen aufweist, wobei der theologische Gehalt bislang unvollständig erschlossen bleibt. Die literarischen Quellen, aus denen die Bilder komponiert wurden, waren Szenen aus dem Alten Testament (mit Bezug auf Tod, Auferstehung und Leben nach dem Tod), aus dem Neuen Thestament (insbesondere Lukas-Evangelium) und Apokryphen – das sogenannte Protoevangelium des Jakobus, Evangelium des Pseudo-Matthäus und Marienevangelien.

Theodoros Metochites war Politiker und Regierungschef unter Andronikos II. Palaiologos (1282-1328), er veranlasste einen Neubau der Kirche und die Ausstattung mit Mosaiken und Wandmalereien sowie den Ausbau des Klosters und der Bibliothek. Nach seiner Verbannung nahm Metochites den Namen Theoleptos an, zog sich 1330 hier zurück und wurde zwei Jahre später hier bestattet. Das Bildprogramm könnte von ihm oder auch von Nikephoros Gregoras (1295-1359/61) entworfen worden sein. Die Themen waren das Leben Mariens, die Kindheit Christi, das Leben und Wirken Christi, Repräsentationsdarstellungen (wie der Pantokrator, das Stifterbild, Deesis und Heilige) und ein Festbildzyklus (im Naos nur noch die Koimesis erhalten). Ich erinnere mich, dass es sehr viel Spaß bereitete, die Szenen aus der Kindheit und der Jugend Mariens mit den apokryphen Texten zu vergleichen und ikonographische Verwandtheiten zu entdecken. Sicher müsste einer umfassenden Interpretation mehr als nur ein oberflächliches Referat zugrunde liegen, aber die Möglichkeit, den Gedanken des Stifters anhand der Mosaiken zu folgen, bewegte mich dazu, die Texte vor Ort zu lesen und auf die Details der Darstellungen aufmerksam zu machen.

Anfang Juni 1998 endete die erfolgreiche Exkursion. Zwei Jahre später verließ ich Köln und auch die Byzantinische Abteilung der Universität auf der Suche nach neuen Themen in der Geschichte der Kunst. Ohne Kenntnisse der griechischen Sprache konnte ich den ganzen Umfang von Byzanz nur erahnen, aber nie richtig verstehen. Ich sah mich damals nicht in der Lage, mir die Sprache zufriedenstellend anzueignen, so dass ich verschiedene Schriften im Original hätte lesen können. Außerdem wusste ich, dass die Kunst des Byzanz ein Fach der Lücken ist. Sicher arbeitet man in den historischen Wissenschaften immer mit Lücken, aber in Byzantinistik ist das nochmal schlimmer. Kaum etwas ist erhalten, vieles wurde zerstört, Spuren reichen meist nicht aus, um zusammenhängende Bilder zu ergeben. Vielleicht habe ich etwas versäumt, aber im Westen auch viel Neues erfahren.

Bilderquelle: Wikipedia, Chora-Kirche, 2023.

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Prinzregentenbrunnen / Brunnen in Augsburg (Serie)

„An der Wende zwischen Renaissance und Barock schufen die Künstler Hubert Gerhard und Adriaen de Vries drei Monuentalbrunnen, Bronzeplastik von italienischer Eleganz. Diese Brunnen wurden zur 1600-Jahr-Feier der Stadt entlang der heutigen Maximilianstraße, Augsburgs kaiserlicher Prachtstraße, und vor dem Rathaus aufgestellt.

Jedes Jahr zur Osterzeit werden die im Winter geschützten Brunnen aufgedeckt, und sie beginnen wieder zu fließen, rauschen, sprudeln und zu plätschern. Seit 1986 wird in Augsburg zur Sommerszeit ein Brunnenfest gefeiert. Dabei wird einer der drei Prachtbrunnen im wahrsten Winne des Wortes lebendig. Spätabends steigt der römische Kaiser Augustus von seinem Brunnensockel herunter, die vier Flußgötter erwachen zum Leben und vier kleine Putten treiben ihren Schabernack. Dieses getanzte Augustus-Traumspiel, von Fritz Kleiber geschaffen, begeistert stets Touristen und immer wieder auch die Augsburgerinnen und Augsburger.“

(Schad M., Brunnen in Augsburg. Fotografien von Helmut Müller. Bindlach 1992, S. 7)

In den 1990er Jahren saß ich an der Universität zu Köln in verschiedenen Seminaren zur Kunstgeschichte Westeuropas. Ich erinnere mich an eine Sitzung, in der ein Vortragender über die Brunnen in Augsburg referierte. Ich war mehr als nur erstaunt, ich war sprachlos. Wieso widmete man sich einem so nichts sagenden Themas, fragte ich mich. Ich wusste nichts über die Urbanistik in Deutschland und stellte mir vor, dass jede Stadt in Westeuropa mindestens ein Dutzend Brunnen wie Fontana die Trevi in Rom oder Fontaine des Mers auf dem Place de la Concorde in Paris haben müsste. Warum also eine Arbeit solch bescheidener Beispiele in einer kleinen Stadt in Bayern widmen?

Erst später verstand ich den Stellenwert der Brunnen in Augsburg und ich schätzte sie, erst als ich hierher zog. Dass solche Kunstwerke auch hierzulande nicht alltäglich sind, wurde mir nach und nach bewusst. Umso bedeutender also die drei Prachtbrunnen der Stadt. Im Juli 2019 wurde das weltweit einzigartige Wasserleit-System in Augsburg zum UNESCO-Welterbe ernannt. Zu dem Zeitpunkt kannte ich bereits die Bedeutung des Wassers für die Stadt an der Lech und an der Wertach und ich hatte auch schon viele der Brunnen gesehen.

Allein 36 Augsburger Brunnen stellte Martha Schad in dem o.a. Buch von 1992 vor.

September 2022 immer noch sehr warm und immer noch Corona. Ich gehe alle zwei Tage eine ältere Dame im Krankenhaus besuchen. Alle zwei Tage laufe ich bis zum Königsplatz, mache den Test und gehe damit und dann ab ins Diakonissenkrankenhaus über den Prinzregentenplatz. Zum ersten Mal nehme ich mir die Zeit, über die grüne Insel mit dem Brunnen zu gehen und fotografiere die Blumen. Gelb und Lila – im Komplementärkontrast, der mir am besten gefällt.

Der Brunnen ist wuchtig, hat einen hohen Becken und oben auf der Säule steht die Bronzefigur des bayerischen Prinzregenten Luitpold (1821-1912). Er hatte nach dem Tode König Ludwigs II. (1886) die Regentschaft übernommen, zu seinem 80. Geburtstag (am 12. März 1901) sollte der ihm gewidmete Brunnen fertiggestellt sein. Der Brunnen wurde vom Münchner Bildhauer Franz Bernauer (1861-1916) geschaffen und von August Riedinger (1845-1919) aus Augsburg gegossen. 1903 war er erst fertig, zur Einweihung kam der Sohn des Prinzregenten, Prinz Ludwig, der spätere und letzte bayerische König Ludwig III. (1845-1921).

(vgl.: Schad, Brunnen in Augsburg, 27. Der Prinzregentenbrunnen, S. 73.)

Ich blicke auf das – gemessen an den Dimensionen des Brunnens – relativ kleine Wassersprudel aus Delphinköpfen und schaue hinauf auf den ehemaligen bayerischen Herrscher. „Luitpold Prinzregent von Bayern“ steht auf dem Steinsockel, darunter in verkröpften Rundbogennischen in Hochrelief – die, von der Witterung zerfressenen Porträts der vier Könige von Bayern aus dem Haus Wittelsbach: Maximilian I. Joseph (1756-1825), Ludwig I. (1786-1868), Maximilian II. Joseph (1811-1864) und Ludwig II. (1845-1886). Der Prinzregent trägt einen schweren Mantel über der Tracht des Hubertusordens, wie ich später zu Hause einer Reiselektüre entnehme. Dort auf dem Platz ist es aber zu heiß, bei dem Anblick des Gewandes wird mir schwindlig. Ich blicke auf das erfrischende Wasser und verlasse die grüne Insel.

Bis zu dem Bett meiner zwischen Leben und Tod schwebenden, alten Dame, denke ich noch an den im Sommer wie im Winter schönen Königsplatz in München, an die Antikensammlung, an die Glyptothek, hier an manche der römischen Kaiser, denen die Brutalität und Verrücktheit bis heute ins Gesicht geschrieben steht: Caligula (12-41), Nero (37-68),  Domitian (51-96), Commodus (161-192), Caracalla (188-217)… Ich weiß nicht mehr, ob ich sie aus Büchern oder aus der Münchner Sammlung römischer Porträts kenne. Einige sind gewiss in der Glyptothek zu sehen. Kein erfreulicher Anblick.

Die Fahrstuhltür im Krankenhaus schließt sich. Ich bin mit einem negativen Test erfolgreich am Empfang vorbeigekommen, der Nachmittag gehört der Gegenwart und den damit verbundenen Sorgen.

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Im Römischen Reich / unterwegs (Serie)

Wenn ich so zurückdenke, habe ich eigentlich – bis auf die fünf Jahre in München Anfang des neuen Jahrhunderts – die Grenzen des römischen Reichs nie verlassen. In der ehemaligen Provinz Dakien (von 106 n.Chr. bis 270er Jahre n.Chr.) geboren, war ich einige Jahre in der Colonia Claudia Ara Agrippinensium (Köln, gegründet 50 n.Chr.) zu Hause. Danach habe ich zwei Jahre in Lugdunum (Lyon, gegründet 43 v.Chr.) gelebt und nach dem anschließenden und vorübergehenden Aufenthalt in München, zog ich nach Augusta Vindelicum (Augsburg, gegründet 15 v.Chr.). Hier wohne ich seit 2007.

In Bukarest gab es keine antiken Funde im Stadtbild, die an das alte Rom hätten erinnern können oder ich habe sie vergessen. Es gab einige Orte, an denen die römische Vergangenheit zelebriert wurde. Wie der Römische Platz im Zentrum der Stadt, an dem eine Kopie der Kapitolinischen Wölfin, ein Geschenk der Stadt Rom, aufgestellt war. Daran ging ich in meiner Schulzeit täglich vorbei. Als ich mich später für die Aufnahmeprüfung an der Akademie der Kunst in Bukarest im Fach Kunstgeschichte vorbereitete, lernte ich, die Wölfin sei Sinnbild der Stadt Rom, eine Arbeit etruskischer Meister aus dem 5. Jahrhundert v.Chr., die Kinder Romulus und Remus – in der späteren Renaissancezeit eingefügt. Heute wird die Bronzeskulptur ins Mittelalter, zwischen dem 9. und dem 13. Jahrhundert, datiert. Jahre später traf ich die Statue wieder in einer Variante in Stein am Römerbrunnen in Köln.

Als ich 1990 das erste Jahr Studium der Kunstgeschichte hinter mir hatte, ging es ins Praktikum nach Capidava (gegründet 1. Jhdt. n.Chr. als Wehranlage der Moesia inferior), einer antiken Ausgrabungsstätte an der Donau. Unter der Leitung unseres damaligen Professors für Archäologie, Radu Florescu (1931-2003), hoben wir „oben“ auf der einst abgebrannten römischen Burg neolithische Spuren aus. Oder wir arbeiteten schwer mit dem Spaten „unten“ im Hafen, der bis auf die Grundmauern ausgegraben werden musste. Nachmittags fügten wir Scherben von alten Töpferwaren zusammen und freuten uns über jeden Erfolg, wenn zwei oder drei Scherben zusammenpassten.

Von der Ausgrabungsstätte blickte man auf die Donau einerseits und andererseits auf eine Straße, die sich über die Hügel Richtung Horizont schlängelte. Selten fuhr ein Auto entlang und wir blickten so ins Nichts während vom Radio das damals neue oft ausgestrahlte Lied von Chris Rea (* 1951) „The Road to Hell“ (1989) hörten und das Refrain nachsummten. Hätte ich den Entschluss auszuwandern, nicht erfasst, so hätte ich mit Sicherheit noch viele Ferien meines Lebens in dem Ort verbracht, der mir in nur einem Sommer ans Herz gewachsen ist.

 

Ich beschränkte mich aber darauf, einige Keramikscherben und einige Steine als Erinnerung mitzunehmen. Diesen Brauch behielt ich längere Zeit und sammelte immer kleine Fundstücke von Reisen in den Mittelmeerländern. Die Teile sind inzwischen nicht mehr genau zuzuordnen. Ob aus der Dobrudscha, aus Griechenland, aus Italien oder aus Frankreich, die Souvernirs von ehemaligen Stätten römischer Zivilisation bilden heute einen kleinen Schatz an Memorabilia. Trotz fester Versprechen und eisernen Willens an diese Orte zurückzukehren, habe ich so gut wie nie zwei Mal den gleichen Strand am Mittelmeer betreten und die antiken Ruinenstädte auch nur ein Mal besucht. Getrieben von der Hast nach immer neuen Sehenswürdigkeiten im kulturreichen Europa vergaß ich beruflich dorthin zurückzukehren, wo einst alles begann, ans Mittelmeer. Es blieb bei den gelegentlichen Urlaubsreisen, bei Fotos und einigen Erinnerungsstücken.

Ein knappes Jahrzehnt später sitze ich tagsüber auf den breiten Stufen des römischen Theaters in Lyon und blicke bei klarem Wetter auf den Mont Blanc, der am Horizont erscheint. Wenige Touristen steigen auf und ab und probieren, ob man ganz oben in den Rängen das Flüstern auf der Bühne hört. Die Zeit war knapp, als ich Lyon wohnte. Ich habe leider an keinem der Schauspiele teilgenommen, die während der Sommerzeit entweder im Theater oder im angrenzenden Odeon aufgeführt wurden. Ich erinnere mich nur an Spaziergänge auf der Anhöhe der beiden Bühnen und an das Schauspiel des Himmels und des Lichts jedes Mal anders, als ich dort war.

Bei einer Aufführung war ich hingegen im antiken Theater vom benachbarten Vienne. Laut Wikipedia soll der Name der Stadt von einer „Via Gehenna“, einem „Weg zur Hölle“ kommen. An einem Sommerabend des Jahres 2001, während der alljährlich stattfindenden Jazzkonzerte dort, sah ich und hörte Paco de Lucia (1947-2014) Gitarre spielend. Das Publikum war begeistert und überhäufte ihn mit Applaus als von der Bühne die Klänge des bekannten „Friday Night in San Francisco“ aufstiegen. Das 1980 uraufgeführte und 1981 aufgenommene Stück spielten damals neben Paco de Lucia, Al Di Meola (* 1954) und John McLaughlin (* 1942).

In Vienne gibt es auch neben einem Tempel (1. Jhdt. v.Chr.) des Augustus (63 v.Chr. – 14 n.Chr.) und der Livia (58 v.Chr. – 29 n.Chr.) – auf der anderen Rhône-Seite – eine Siedlung namens Saint-Romain-en-Gal, wo 1967 ein ehemaliges römisches Villenviertel ausgegraben wurde. Seit Mitte der 1990er Jahren steht da ein Museum mit lichter Architektur, dessen kostbarste Ausstellungsstücke Fußbodenmosaike sind. Eines davon (Ende 3. Jhdt. n.Chr., 7 m x 5,20 m) wurde Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt und stellt den mythischen König Thrakiens, Lykurg, dar, der den Mut hatte, sich Bacchus entgegenzustellen. Als ihm Rhea zur Strafe den Verstand nimmt, tötet Lykurg im Weinrausch seinen Sohn Dryas in der Annahme, er sei ein wuchernder Rebstock. Die Darstellung des thrakischen Königs inmitten des bedrohlich anmutenden Rankenwerks ist einmalig und suggeriert wie kein zweites den Rausch, in dem die blutige Tat vollbracht wurde. Apsisförmig endet das Mosaik im oberen Bereich mit Figuren des Bacchus, Pan und der Bacchanten, die Lykurg bedroht hatte.